Opposition bezeichnet Wirtschaftsminister als "Schlaftablette auf zwei Beinen"
Archivmeldung vom 17.10.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakIn den vergangenen Tagen spitzte sich die internationale Finanzkrise zu einer Konjunkturkrise zu, die zunehmend auch in Deutschland ihre Spuren hinterlässt. Vom deutschen Wirtschaftsminister hingegen hört man wenig, immer heftiger wird daher die Kritik der Opposition.
Es ist erst zehn vor zwölf, Michael Glos ist überpünktlich. Der Bundeswirtschaftsminister will nicht wieder lesen müssen, dass er zu einem wichtigen Termin zu spät gekommen sei. Am Mittwoch war er zwei Minuten zu spät zur Regierungserklärung der Kanzlerin im Bundestag erschienen, und prompt wurde ihm auch das noch um die Ohren gehauen.
Um Punkt zwölf sitzt Glos dann vor der Bundespressekonferenz. Dort muss er erklären, warum er glaubt, dass alles gar nicht so schlimm wird, obwohl auch die Regierung für das kommende Jahr einen Stillstand beim Wirtschaftswachstum erwartet. Für einen wie Glos, den die Natur nicht mit einer dynamischen Aura ausgestattet hat, ist das ein schwieriges Unterfangen. Während sich die beunruhigenden Ereignisse überstürzen und die Börsen im freien Fall sind, wirkt die fränkische Bedächtigkeit des Wirtschaftsministers noch grotesker als in den ersten drei Jahren seiner unfreiwilligen Amtszeit. Am Ende bleibt das ungute Gefühl, diese Rezession werde wohl schlimmer als gedacht.
Da die Krise die guten Sitten außer Kraft gesetzt hat, muss sich Glos nicht nur Fragen zur Konjunktur gefallen lassen, sondern auch zu seiner eigenen Rolle. Ob er sich von Merkel und Steinbrück genügend in das Krisenmanagement der Regierung eingebunden fühle? Er will es mit einem knappen "Ja" abtun - doch dann entschlüpfen ihm noch ein paar verräterische Sätze. "Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig auf die Publicity, die Peer Steinbrück jetzt hat, wenn Sie das meinen", blafft Glos. Er kümmere sich um das, was ihn angehe und das sei nicht die Finanzwelt, sondern "die sogenannte Realwirtschaft".
Für die Realwirtschaft, also Unternehmen, die mit echten Produkten und Dienstleistungen handeln, und Verbraucher, die diese Produkte kaufen sollen, wirft sich Glos nun in die Bresche. Für sie müsse es mehr "Impulse" geben. Er fordert neue Steuer- und Abgabenerleichterungen so bald wie möglich, für die Autoindustrie will er Nachlässe bei den strengen Klimaschutzauflagen der EU. Das 500 Mrd. Euro schwere Finanzpaket der Regierung für die Banken müsse "flankiert" werden durch Hilfen für die Realwirtschaft - ein Konzept oder gar konkrete Zahlen kann Glos aber nicht vorlegen.
"Gut Ding will Weile haben"
Auf die Frage, warum in der Regierungsspitze bisher niemand seine Forderungen aufgreift, antwortet der Minister: "Gut Ding will Weile haben." Doch Glos wirkt isoliert, wie ein einsamer Rufer in der Wüste - gerade in der Krise ohne zufriedenstellende Einbindung in die Machtzentrale. Sollte das Duo Merkel/Steinbrück tatsächlich bald auf die Idee kommen, der Realwirtschaft durch zusätzliche Steuer- oder Abgabensenkungen Impulse zu verleihen, dann gewiss nicht, da die Idee von Glos gekommen ist.
Der Opposition bietet der stets müde wirkende Glos in dieser Krise die ideale Angriffsfläche. "Wo ist Glos?", fragt die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae. Wer tritt für den Mittelstand ein, während Merkel mit den Bossen der Dax-Konzerne über ihr Krisenmanagement diskutiert? Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn verhöhnt Glos am Mittwoch im Bundestag als "Schlaftablette auf zwei Beinen" - und keiner im Saal rafft sich zu einer Gegenbemerkung auf.
Das tut Glos tags darauf selbst. Früher als Parlamentarier habe er selber viel ausgeteilt, meint er. Wer austeile, müsse auch einstecken können. Dann setzt er hinzu: "Ich brauche auch keine Schlaftabletten, denn ich bin ein ganzes Stück mit mir im Reinen." Immerhin.