Wolfgang Thierse: Wir brauchen mehr "Alte" in der Politik
Archivmeldung vom 02.12.2017
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Freigeschaltet durch André OttDer SPD-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sieht Rufe nach einer Verjüngungskur in der Politik mit Skepsis. Thierse sagte im Interview mit der "Heilbronner Stimme": "Der Ruf nach mehr Jugendlichkeit ist modisch geworden. Wir brauchen kompetentes, handlungsstarkes und überzeugungsstarkes Personal. Wenn es dafür junge Leute gibt, warum nicht? Aber Jugend alleine ist noch kein Verdienst, der Jüngere muss nicht auch der Bessere sein."
Thierse fügte hinzu: "Wer in der Politik Verantwortung übernimmt, sollte über ein beträchtliches Quantum beruflicher und sozialer Erfahrung vorweisen können. Es gibt auch einen falschen Jugendkult, weil der Altersschnitt der Bevölkerung eher wächst. Schauen Sie ins Parlament: die Generation der über 65-Jährigen ist dort unterrepräsentiert. Wir brauchen mehr "Alte" in der Politik."
Thierse forderte zudem von der künftigen Bundesregierung eine "europafreundliche Offensive" und lobte die Bewegung Pulse of Europe. Thierse: "Es ist wirklich schön und sehr sympathisch, dass es Menschen gibt, die begriffen haben, dass Europa die eigene Zukunft bedeutet. In dieser Bewegung engagieren sich viele junge Leute, das macht mir Hoffnung. Denn der Brexit kam, weil allzu viele junge Menschen sich eben nicht an der Entscheidung beteiligt hatten. Wir brauchen nun in Deutschland eine Regierung, die eine europafreundliche Offensive startet - gemeinsam mit Frankreich." Er betonte: "Der Ruf nach der Rückkehr zu nationalen Grenzen besorgt mich sehr. Unser Wohlstand hängt von offenen Grenzen ab. Auch unser Frieden. Das ist der Grundgedanke der europäischen Idee, dass die Völker des Kontinents in Frieden und Freiheit leben."
Die Hoffnungen auf eine Kenia-Koalition hat Thierse noch nicht aufgegeben: "Dass wir wieder über eine Neuauflage der großen Koalition reden müssen liegt nicht an der SPD. Es hat einzig und allein mit dem Scheitern von Jamaika zu tun. Dafür tragen wohl vor allem Herr Lindner und die FDP die Verantwortung. Nun sollten wir über Inhalte sprechen. Kenia wäre eine Chance für die Grünen. Um es drastisch zu sagen: In der Opposition werden die Grünen brutalste Ohnmachtserfahrungen machen, denn dort sind sie die kleinste der Parteien. Und auch in einer Minderheitsregierung würden sie weniger durchsetzen können als in einer echten Kenia-Koalition." Seine Schlussfolgerung: "In der Opposition jedenfalls werden sie immer das letzte Rad am Wagen sein. Sie haben doch mit Eifer betont, wie sehr sie regieren wollen. Und nun schlagen sie einfach aus. Es geht für die Grünen nicht darum, Steigbügelhalter für die SPD zu sein, sondern darum, die eigenen Projekte durchsetzen zu können."
Quelle: Heilbronner Stimme (ots)