Di Fabio: "Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege"
Archivmeldung vom 27.03.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.03.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttAuf einer Pressekonferenz haben der frühere Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio und der Präsident des bpa Arbeitgeberverbands Rainer Brüderle die Ergebnisse eines Gutachtens von Professor Di Fabio zum Thema "Erstreckung von Tarifvertragsnormen in der Pflege" vorgestellt. Professor Di Fabio kommt darin zum Schluss, dass es "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege" gibt.
Dazu erklärt Professor Udo Di Fabio: "Allgemeinverbindlicherklärungen in der Pflege stoßen auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Das gilt gleichermaßen für die klassische Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) wie auch für die Erstreckung eines bundesweiten Tarifvertrages kraft einer Rechtsverordnung nach § 7a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG). Eine entsprechende Vorgehensweise stellt eine Verletzung der Art. 9 Abs. 3, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 sowie 20 Abs. 1 bis 3 GG dar. Beide Instrumente führen dazu, dass ein marktwirtschaftlicher Wettbewerb in der Pflegebranche de facto ausgeschlossen wird.
Alle Wettbewerbsfaktoren sind dann vereinheitlicht (Preise, Qualität und dann auch noch Löhne). Der Eingriff ist aufgrund der bereits stark regulierten Pflegebranche (Pflege- und Sozialgesetze, Pflegequalität, Personalbemessung) besonders gravierend. Da insbesondere Gewerkschaften nur sehr wenige Mitglieder haben und somit eine repräsentative Bindung an einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in der Pflegebranche nicht besteht und nicht bestehen wird, sind die Instrumente der Allgemeinverbindlicherklärung bzw. die Erstreckung von Tarifverträgen ungeeignet und zur Erreichung sozial- und gesundheitspolitisch erstrebter Ziele verfassungswidrig."
"Die Ergebnisse von Professor Di Fabio sind klar und eindeutig. Sie sind ein deutliches Signal an die Politik, den Weg der Allgemeinverbindlicherklärung nicht weiter zu beschreiten. Er führt nicht nur rechtlich und politisch, sondern auch wirtschaftlich in eine Sackgasse", so Rainer Brüderle.
Der bpa Arbeitgeberverband habe in allen Bundesländern Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) mit länderspezifischen Entgelttabellen eingeführt. Damit können bis zu rund 10.000 Einrichtungen und Dienste erreicht werden. Die AVR seien Mindestbedingungen für Löhne und Arbeitsbedingungen und würden zum Beispiel ein Einstiegsgehalt von 2.520 Euro für die Pflegefachkraft in Sachsen-Anhalt oder von 2.950 Euro in Baden-Württemberg empfehlen. Sie bildeten damit unterschiedliche Lebenshaltungskosten und regionale Besonderheiten bei Pflegesätzen oder Regulierungen ab. "Das ist vernünftig und spiegelt die Wirklichkeit vor Ort wider. Damit zeigen wir, dass private Pflegebetreiber ihren Mitarbeitern gute Gehälter und gute Arbeitsbedingungen anbieten und schaffen Transparenz", machte der bpa Arbeitgeberpräsident deutlich.
Und weiter: "Bemerkenswert ist der Hinweis von Professor Di Fabio auf die Ziele des Arbeitnehmerentsendegesetzes. Das richtet sich explizit gegen einen Verdrängungswettbewerb durch sinkende Löhne. In der Altenpflege findet der Verdrängungswettbewerb aber gerade andersherum statt. Die Löhne steigen weit überdurchschnittlich und wer da als Unternehmen nicht mithalten kann, der findet keine Fachkräfte und wird heute oder morgen vom Markt verdrängt. Für die steigenden Löhne sorgt übrigens der Markt. Deshalb sollte sich die Politik lieber auf zwei viel dringendere Probleme in der Altenpflege konzentrieren: Wie sichern wir die flächendeckende Versorgung der Pflegebedürftigen und woher gewinnen wir das notwendige zusätzliche Personal?"
Der bpa Arbeitgeberverband e. V. wurde 2015 von 200 Einrichtungen und Diensten der privaten Arbeitgeber in der Altenpflege, Behinderten-, Kinder- und Jugendhilfe gegründet. Mitglieder des bpa Arbeitgeberverbands sind sowohl kleine als auch mittlere und große Betriebe. Mittlerweile vertritt der Verband die tarif- und arbeitsmarktpolitischen Interessen von über 3.400 Mitgliedern, die über 170.000 Mitarbeiter beschäftigen.
Zusammenfassung der Ergebnisse des verfassungsrechtlichen Gutachtens zum Thema "Erstreckung von Tarifvertragsnormen in der Pflege" von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio:
Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., kommt zu dem Ergebnis, dass Allgemeinverbindlicherklärungen in der Pflege auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Das gilt gleichermaßen für die klassische Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Tarifvertragsgesetz (TVG) wie auch für die Erstreckung eines bundesweiten Tarifvertrages kraft einer Rechtsverordnung nach § 7a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG).
Eine entsprechende Vorgehensweise stellt eine Verletzung der Art. 9 Abs. 3 (negative Koalitionsfreiheit), 12 Abs. 1 (Arbeitsvertragsfreiheit), 2 Abs. 1 (Allgemeine Handlungsfreiheit) sowie 20 Abs. 1 bis 3 (Rechtsstaats- und Demokratieprinzip) Grundgesetz (GG) dar.
Beide Instrumente würden dazu führen, dass ein marktwirtschaftlicher Wettbewerb in der Pflegebranche de facto ausgeschlossen wird. Alle Wettbewerbsfaktoren wären dann annähernd vereinheitlicht (Preise, Qualität und dann auch noch die Löhne) Der Eingriff sei aufgrund der bereits stark regulierten Pflegebranche (Pflege- und Sozialgesetze, Pflegequalität, Personalbemessung) besonders gravierend.
Aufgrund der Tatsache, dass eine repräsentative Bindung an einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in der Pflegebranche nicht besteht und nicht bestehen wird, sind die Instrumente der Allgemeinverbindlicherklärung bzw. die Erstreckung von Tarifverträgen ungeeignet und zur Erreichung sozial- und gesundheitspolitisch erstrebter Ziele verfassungswidrig.
Des Weiteren sei es mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG unvereinbar, wenn Tarifvertragsnormen, die nur einen geringen Verbreitungsgrad gefunden hätten, auf eine womöglich ablehnende Mehrheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erstreckt würden.
Einer Erstreckung tarifvertraglicher Normen kraft Rechtsverordnung gemäß § 7a AEntG stehe entgegen, dass ein Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten in der Pflegebranche nicht besteht. Die Erforderlichkeit dieses Instruments sei unter anderen auf den stetig ansteigenden Pflegemindestlohn und die dritte Pflegearbeitsbedingungenverordnung, welche zwingende Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche reglementiert, zu verneinen. Zudem stellt Herr Prof. Dr. Dr. Di Fabio fest, dass ein Rückgriff auf § 7a AEntG in der Pflegebranche wegen speziellerer Normen in §§ 10 ff. AEntG verwehrt ist, weil damit ein eigenes Verfahren zur Regelung der Arbeitsbedingungen in der Pflegbranche geschaffen wurde.
Das Gutachten beleuchtet ebenfalls kurz eine andere diskutierte gesetzliche Änderung, den Abschluss von Versorgungsverträgen mit Pflegeeinrichtungen an eine Tarifbindung zu koppeln. Neben Zweifeln an der Bestimmtheit der Gesetzesänderung, kommt Herr Prof. Dr. Dr. Di Fabio auch hier zu dem Ergebnis, dass eine entsprechende Änderung - wie die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifvertragsnormen nach § 5 TVG oder die Tarifnormerstreckung kraft Rechtsverordnung gem. § 7a AEntG - verfassungsrechtlich unzulässig sei. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob dieses Szenario die (große) Mehrheit der Pflegeeinrichtungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.
Quelle: bpa Arbeitgeberverband (ots)