Missbrauchsskandal Korntal: Ehemalige Landesministerin Altpeter erklärt Rücktritt aus Vergabekommission
Archivmeldung vom 08.11.2017
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Freigeschaltet durch André OttDie ehemalige Ministerin für Arbeit und Sozialordnung des Landes Baden-Württemberg, Katrin Altpeter, hat ihre Mitarbeit in der sogenannten Vergabekommission der Brüdergemeinde Korntal aufgekündigt. "Report Mainz" liegt exklusiv ihr Rücktrittsschreiben vor, in dem sie schwere Vorwürfe gegen die Brüdergemeinde erhebt.
Vor drei Wochen hatte die Evangelische Brüdergemeine Korntal entscheidende Fortschritte im Prozess um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in ihren Kinderheimen bis in die 80er Jahre angekündigt. Laut einer Pressemitteilung vom 13. Oktober sollte die "konkrete Aufklärung" Ende 2017 abgeschlossen sein und ein Abschlussbericht "im ersten Halbjahr 2018" vorgelegt werden. Zudem wurde eine Vergabekommission aus "vier unabhängigen und beruflich qualifizierten Mitgliedern" berufen, die die Aufgabe hat, über die Höhe der finanziellen Anerkennungsleistung für jedes Opfer, das im laufenden Verfahren einen Antrag gestellt hat, zu entscheiden.
Als Grund für ihren Rücktritt aus der Vergabekommission teilte Katrin Altpeter mit, sie sehe sich "nicht in der Lage, in einem Klima, in dem skeptische Worte oder das Hinterfragen bestimmter Dinge als 'Irritation' gelten, sinnvoll zu arbeiten". Weiter schreibt sie, es sei ihr ein "großes Anliegen" gewesen, das Geschehen in der Heimerziehung des Landes aufzuarbeiten und "etwas für die Opfer zu tun". Sie hätte von der Brüdergemeinde einen transparenten und nachvollziehbaren Prozess erwartet, doch sei sie in ihren Erwartungen "leider enttäuscht" worden.
Klaus Andersen, weltlicher Vorsteher der Gemeinde, erklärte gegenüber "Report Mainz", er sei gestern informiert worden, dass Frau Altpeter für eine Mitarbeit in der Vergabekommission nicht mehr zur Verfügung stehe: "Wir haben dies zur Kenntnis genommen und folgen dem Vorschlag der Moderatoren, uns über die Hintergründe dieser Absage und die weitere Vorgehensweise zeitnah im Rahmen einer Sitzung der Auftraggebergruppe auszutauschen." Die Auftraggebergruppe gestaltet den Aufarbeitungsprozess und besteht unter anderem aus ehemaligen Heimkindern und aus Vertretern der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal. Darüber, wie es mit dem Aufarbeitungsprozess jetzt weitergeht, will sich Klaus Andersen derzeit nicht äußern. "Report Mainz" teilt er mit: "Da wir uns in diesem Aufklärungsprozess für einen Weg der Partizipation entschieden haben, der im Wesentlichen von den Entscheidungen der Auftraggebergruppe bestimmt wird, bitten wir um Verständnis, dass wir uns zum aktuellen Zeitpunkt nicht näher zu diesem Sachverhalt äußern können."
Zum Hintergrund:
2014 kamen die Missstände in den Kinderheimen von Korntal durch die Schilderungen des Betroffenen Detlev Zander erstmals ans Licht. Die Vorwürfe umfassten Gewalt, sexuellen Missbrauch und Demütigung. Im Mai 2017 berichtete "Report Mainz" über erste Ergebnisse der von der Brüdergemeinde eingesetzten unabhängigen Aufklärer, die ehemalige Richterin Dr. Brigitte Baums-Stammberger und der Erziehungswissenschaftler Prof. Benno Hafeneger. Dem Politikmagazin gab Hafeneger zu Protokoll: "Der Aktenbestand gibt her, dass es sexualisierte Gewalt gab, dass diese Form von Gewalt auch thematisiert worden ist, dass die auch in den Gremien verhandelt worden ist, das heißt, dass mehrere von diesen Vorfällen wussten."
Brigitte Baums-Stammberger führte bisher etwa 65 Gespräche mit Betroffenen, die einen Antrag auf Anerkennung stellen möchten. Im Mai schilderte Baums-Stammberger gegenüber "Report Mainz", "An Straftatbeständen auch nach der damaligen Rechtslage, sind regelmäßig gefährliche Körperverletzungen vorgekommen, nämlich Körperverletzungen mit Gegenständen, es sind einfache Körperverletzungen vorgekommen, es sind Freiheitsberaubungen vorgekommen. Und es ist sexueller Missbrauch, auch schwerer sexueller Missbrauch vorgefallen."
2014 erklärte sich die Brüdergemeinde Korntal erstmals zu einer Aufarbeitung des Skandals bereit. Doch von Anfang an war der Prozess geprägt von Misstrauen seitens der Opfer. Immer wieder mahnten Betroffene ein mangelndes Mitspracherecht und Transparenz an. Das laufende Verfahren wird von den verschiedenen Opfergruppierungen unterschiedlich bewertet. So wirft die Gruppe "Heimopfer Korntal" in einer aktuellen Erklärung der Brüdergemeinde vor, "das von einigen ihrer Mitglieder begangene Unrecht schnell, oberflächlich, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und für die Gemeinschaft möglichst kostengünstig zu Ende zu bringen." Dagegen bezeichnet die "Arbeitsgemeinschaft Heimopfer Korntal" in einer Pressemitteilung vom 30. Oktober den laufenden Prozess der Aufklärung als, "insgesamt erfolgreich".
Quelle: SWR - Das Erste (ots)