Gregor Gysi: "Ich habe mich zu wichtig genommen"
Archivmeldung vom 10.06.2015
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, zieht eine selbstkritische Bilanz. "Wenn ich gewusst hätte, was alles auf mich zukommt, hätte ich es höchstwahrscheinlich nicht gemacht", sagt er mit Blick auf seine politische Karriere im Interview mit dem Hamburger Magazin stern. Nach 26 Jahren in politischen Spitzenfunktionen will der Politiker ab Oktober kürzer treten. Er habe in diesen Jahren Freunde und Familie vernachlässigt. "Das bezahlt man teuer", so Gysi. "Ich habe mich auch zu wichtig genommen."
Im Gespräch mit dem stern kündigt der 67-Jährige an, sich künftig stärker um seinen Beruf als Anwalt kümmern zu wollen. Er müsse allerdings nicht mehr jedes Mandat übernehmen. "Aber wenn eine kleine Firma was erfindet, und dann eine sehr große Firma kommt und Druck ausübt. Für die kleine Firma bin ich dann sehr geeignet", sagt Gysi. Im Oktober wolle er außerdem damit beginnen, eine Autobiografie zu schreiben. "Das wird sicher anstrengend. Ich habe nie Tagebuch geführt."
Offenbar sieht Gysi eine Chance auf Aussöhnung mit seinem einstigen Mitstreiter Oskar Lafontaine. Im Streit um die Ausrichtung der fusionierten Linkspartei war es 2012 zum Zerwürfnis des Spitzenduos der Partei gekommen. Gysi habe Lafontaine kürzlich im Saarland getroffen. "Unser Verhältnis war schwierig, aber ich glaube, es wird wieder besser werden", sagt Gysi. Lafontaine ist verheiratet mit Sahra Wagenknecht. Die Vertreterin des linken Parteiflügels könnte Gysis Nachfolgerin im Fraktionsvorsitz werden.
Eine Rückkehr in ein politisches Spitzenamt schließt Gysi weiterhin aus. Weder wolle er Minister einer rot-rot-grünen Bundesregierung werden noch Spitzenkandidat der Linken zur Bundestagswahl 2017. "Ich darf so einen Gedanken gar nicht erst zulassen", sagt Gysi. "Ich muss sicher lernen, öfter mal wegzugucken. Aber wenn ich die Verantwortung abgebe, kann ich nicht heimlich weiter führen wollen." Über eine erneute Kandidatur für den Bundestag wolle er frühestens im kommenden Jahr entscheiden.
Quelle: Gruner+Jahr, stern (ots)