NDR Recherche zu Hasskommentaren im Netz: Viele Hamburger Politiker betroffen
Archivmeldung vom 15.06.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićSexistische Beschimpfungen, rassistische Beleidigungen, reale Bedrohungen - zahlreiche Hamburger Politikern haben nach Recherchen des NDR Landesfunkhauses Hamburg in den vergangenen zwölf Monaten persönliche Erfahrungen mit Hasskommentaren gemacht.
Das ist das Ergebnis einer Befragung aus dem Mai von NDR "Hamburg Journal", NDR 90,3 und der Multimedia-Redaktion des Landesfunkhauses. 499 Hamburger Politiker wurden angefragt, insgesamt haben 151 an der Befragung teilgenommen, 88 gaben an, in den letzten zwölf Monaten Hasskommentare erhalten zu haben. Darunter Senatsmitglieder, Bürgerschaftsabgeordnete, Bezirksamtsleiter und Bezirksabgeordnete.
Die datenjournalistische Auswertung eines umfangreichen Fragenkatalogs hat ergeben: Die meisten Hasskommentare beziehen sich auf die politischen Ansichten der Befragten. Aber auch Merkmale wie Aussehen, Geschlecht und Herkunft sind Anlass für herabsetzende Kommentare. Weiter gaben Hamburger Politikerinnen und Politiker im Fragebogen des NDR an, dass sie am häufigsten Beleidigungen, üble Nachrede und Verleumdungen erleben.
Julia Barth (SPD) ist mit 25 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten in der Hamburgischen Bürgerschaft. Immer wieder bekommt sie frauenfeindliche Hasskommentare wie "Ich wollte immer mal eine Politikerin... mit meinem harten Sch*** vermöbeln". Oder: "Frauen in der Politik haben Deutschland zerstört. Menstruations-Emotionen haben in der Politik nichts zu suchen". Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne Hamburg) wurde gedroht, ins "Fadenkreuz genommen zu werden" und dass er "darauf achten solle, wenn er vor die Tür gehe".
Prof. Dr. Hanna Klimpe, Social-Media-Expertin von der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW): "Das Problem verschärft sich, da in den sozialen Medien jede Form von Inhalt beliebig oft wiederholt werden kann. Das heißt, es verselbstständigt sich. Ein Video von Walter Lübcke von einer Bürgerversammlung 2015 in Hessen geisterte vier Jahre durch diverse rechtsextreme YouTube-Kanäle, bis es dann irgendwann dazu kommt, dass Walter Lübcke 2019 ermordet wurde."
Viele der befragten Politiker gaben an, mit ihren Äußerungen in der Öffentlichkeit vorsichtiger geworden zu sein. Manche sprechen von einem Angriff auf die Demokratie. Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne Hamburg) sagte gegenüber dem NDR Landesfunkhaus Hamburg: "Diese Form der Auseinandersetzung führt zu einer Verrohung des Diskurses. Im Netz werden die Hemmschwellen fallengelassen - und beeinflussen das analoge Leben, was wir ja in sehr furchtbaren Taten auch in der Vergangenheit immer wieder sehen konnten."
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) kommentierte gegenüber dem NDR Landesfunkhaus Hamburg: "Das ist schon schlimm und da sind wir als Gesellschaft alle ein Stück aufgerufen, abzurüsten". Die meisten der befragten Politiker haben gegenüber dem NDR angegeben, sich nicht einschüchtern zu lassen und ihre politischen Ansichten trotz der Hasskommentare nach wie vor in der Öffentlichkeit und in Social Media zu vertreten. Das ganze Ergebnis der Recherche heute bei NDR 90.3, im NDR "Hamburg Journal" um 18.00 Uhr und 19.30 Uhr sowie online unter ndr.de/hamburg.
Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)