Bundesregierung darf aus Energieausweis keine Luftnummer machen
Archivmeldung vom 22.06.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlDer seit Jahren auf höchster politischer Ebene debattierte Energieausweis für Gebäude droht als Luftnummer zu enden. Darauf hat eine Allianz um die Energiepass Initiative Deutschland (EID), einem Zusammenschluss aus Verbänden der Dämmstoff- und Glasindustrie sowie der Heizungswirtschaft unmittelbar vor den entscheidenden Gesprächen zur Ressortabstimmung der Bundesregierung in Berlin hingewiesen.
In ihren Forderungen unterstützt wird die EID
von zahlreichen Bau- und Industrieverbänden sowie der Deutschen
Umwelthilfe e.V. (DUH). Das Bündnis warnte Bundeskanzlerin Angela
Merkel, dem "angeblichen Kompromissvorschlag" von Bauminister
Wolfgang Tiefensee (SPD) und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU)
zu folgen, der lediglich "eins zu eins die Vorstellungen der
traditionellen Teile der Hausbesitzerverbände wiederholt." Die beiden
Minister hatten entgegen dem Rat praktisch der gesamten Fachwelt
vorgeschlagen, den Hauseigentümern freizustellen, ob sie für ihre
Immobilien den weitgehend wirkungslosen verbrauchsorientierten oder
den Sanierungsinvestitionen anreizenden bedarforientierten
Energieausweis bereit stellen.
Die Industrie- und Handwerksverbände fürchten, dass damit "ein starkes Aufbruchssignal für mehr Energieeffizienz im Gebäudebestand, für Wachstum und Beschäftigung in der Bauwirtschaft und im Handwerk und für ehrgeizige Klimaschutzziele ohne Not gegen die Wand gefahren wird". Weil der verbrauchsorientierte Energieausweis lediglich Aufschluss gebe über die "Heiz-, Dusch- oder Bademarotten der aktuellen Bewohner", sei er "beliebig, intransparent, in keiner Weise objektiv und letztlich wertlos für die Einschätzung des energetischen Zustands einer Immobilie". Er gebe keinerlei Hilfestellung für dringend notwendige Energiespar-Investitionen. Benötigt werde ein bedarfsorientierter Energieausweis, der sich am konkreten Gebäudezustand orientiert und nicht vom individuellen Nutzerverhalten abhängig sei.
"Nur für den bedarfsorientierten Energieausweis lohnt sich der
Aufwand seiner Einführung", erklärte Stefan Bundscherer, der Energie-
und Klimaschutzexperte der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH). "Der
Tiefensee-Glos-Vorschlag wäre kein Kompromiss, sondern ein
Persilschein für Modernisierungsverweigerer." Die regierungsamtliche
Umsetzung des Wunschzettels der Immobilienverbände werde weder
Klimaschutz noch Beschäftigung voranbringen. Die 250 Euro, die die
Erstellung eines bedarfsorientierten Ausweises pro Gebäude
durchschnittlich kosten würde, seien "Peanuts im Vergleich zu den
Energiekosten, die eine unsanierte Immobilie Jahr für Jahr
verursacht. Ökologisch modernisierte Wohneinheiten bringen bei
Vermietung oder Verkauf ein Vielfaches an Mehreinnahmen", so
Bundscherer. Außerdem gebe der Ausweis dem Besitzer bei seiner
Erstellung klare Hinweise, wo sich eine Sanierung lohne - zum Nutzen
für den Mieter und den Vermieter, den Käufer und den Verkäufer und
nicht zuletzt für das globale Klima.
"Das zögerliche Verhalten der Großen Koalition behindert die deutsche Bauwirtschaft. Wir könnten viele Arbeitsplätze in der energetischen Gebäudesanierung sichern bzw. neu schaffen, wenn der bedarfsorientierte Energieausweis als Innovations- und Investitionsbeschleuniger endlich eingeführt würde," sagt Prof. Dr. Karl Robl, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes.
Klaus-W. Körner, Präsident des Gesamtverbandes Dämmstoffindustrie
und EID-Sprecher: "Nur der bedarfsorientierte Energieausweis führt
zu nennenswerten Heizöleinsparungen und schafft Zehntausende von
Arbeitsplätzen. Gleichzeitig wird so durch die nachhaltige
CO2-Reduzierung aufgrund der energetischen Maßnahmen die Umwelt
deutlich entlastet".
EID, Industrieverbände und DUH erklären in einem heute veröffentlichten, gemeinsamen Aufruf an die Minister Glos und Tiefensee, dass für eine Übergangszeit ein wirklicher Kompromiss zwischen beiden Modellen nicht in der beliebigen Wahlfreiheit bestehen könne. Allenfalls könne man bei großen Wohnanlagen mit mehr als 12 Wohneinheiten befristet einen Verbrauchsausweis akzeptieren, da sich hier das unterschiedliche Nutzerverhalten der Bewohner teilweise ausgleiche.
Nach jahrelangem Gezerre um die Ausgestaltung des von der EU
geforderten Energieausweises hatten kürzlich die Minister Tiefensee
und Glos die so genannte "Wahlfreiheit" als Kompromiss ausgerufen,
ein Vorschlag, der zuvor von den Immobilienverbänden mit hoher
Lobbyintensität vorgetragen worden war. Bisher sperrt sich
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gegen den beliebigen Einsatz des
Verbrauchsausweises.
Nun drängt die Zeit, weil die der Regelung zugrunde liegende EU-Richtlinie bereits zu Jahresbeginn 2006 hätte umgesetzt sein sollen. Die EID fürchtet, dass die Tiefensee-Glos-Pläne noch vor der Sommerpause im Windschatten der Fußballweltmeisterschaft festgezurrt werden sollen. Verzögert sich die Umsetzung der EU-Richtlinie weiter, droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren. Außerdem drohten die von der Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbarten ehrgeizigen Förderprogramme zur energetischen Gebäudesanierung ins Leere zu laufen.
Die EID gründete sich Anfang 2000, um auf Bundesebene einen
aussagekräftigen Energieausweis für den Wohnungsbestand
durchzusetzen. EID, zahlreiche Wirtschaftsverbände und DUH fordern in
dem gemeinsamen Aufruf den am Bedarf orientierten Energiepass
mindestens für Ein- und Mehrfamilienhäuser mittlerer Größe.
Der EID gehören an: Energiepass Glas und Fenster, Gesamtverband Dämmstoffindustrie und Vereinigung der deutschen Zentralheizungswirtschaft e.V. Der gemeinsame Aufruf wurde darüber hinaus unterzeichnet von: Bundesindustrieverband Deutschland Haus-, Energie- und Umwelttechnik, Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel, Bundesarbeitskreis Altbauerneuerung, Bundesverband Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker, Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks, Deutsche Umwelthilfe, Zentralverband Deutsches Baugewerbe, Zentralverband Deutsches Dachdeckerhandwerk und Zentralverband Sanitär Heizung Klima.
Quelle: Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe e.V.