Hessen will Stromkonzerne notfalls zu Kraftwerksverkäufen zwingen
Archivmeldung vom 12.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einer Verschärfung des deutschen Wettbewerbsrechts will Hessen für niedrigere Strompreise sorgen. Wirtschaftsminister Alois Rhiel hat dazu heute (Montag) in Berlin einen Gesetzentwurf zur Erweiterung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vorgestellt.
Er will das Bundeskartellamt erstmals zu „wettbewerbsstimulierenden Eingriffen
in die Marktstruktur“ berechtigen, wenn Unternehmen ihre Marktmacht missbrauchen
und dadurch Wettbewerb verhindern. Die Notwendigkeit für einen
Marktstruktureingriff sieht Rhiel aktuell im Stromerzeugungsmarkt, wo vier
Energiekonzerne rund 80 Prozent des Stroms erzeugen.
Der Minister sagte:
„Hessen schlägt eine Erweiterung und Verschärfung des deutschen
Wettbewerbsrechts vor, damit - wenn alles andere nicht hilft - der Staat in der
Stromerzeugung das Oligopol der vier Konzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW
beseitigen und echten Wettbewerb in Gang setzen kann. Notfalls muss das
Bundeskartellamt die Stromkonzerne dann zwingen können, einen Teil ihrer
Kraftwerke an Dritte zu verkaufen.“ Ziel sei, dass die Zahl der Stromproduzenten
in Deutschland so weit steigt, dass wirksamer Wettbewerb und eine
wettbewerbliche Preisbildung zu erwarten sind. Das sei Voraussetzung für
sinkende Großhandelspreise und damit für eine Entlastung der privaten und
gewerblichen Stromverbraucher. Rhiel: „Die Wettbewerbspolitik sollte sich jetzt
ein schärferes Schwert schmieden, um das Oligopol beseitigen zu können.“
Der hessische Minister betonte: „Ich will, dass heute die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, damit - wenn alles andere nicht hilft - das Bundeskartellamt morgen einen Zwangsverkauf von Kraftwerken anordnen und tatsächlich durchführen kann.“ Wenn ein Zwangsverkauf von Kraftwerken gelingt und zu einer Preissenkung von zwei Cent je Kilowattstunde führt, dann würde das für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden eine jährliche Entlastung von 70 Euro netto und 83 Euro inklusive Mehrwertsteuer bedeuten, sagte der Minister.
GWB-Erweiterung ist verfassungsrechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll
Rhiel stellte zwei wissenschaftliche Gutachten vor, die zu dem Ergebnis kommen, dass „ein wettbewerbsstimulierender Marktstruktureingriff in Form eines Zwangsverkaufs von Kraftwerken verfassungsrechtlich möglich und ökonomisch sinnvoll ist.“ Das Gutachten zur Frage der Verfassungskonformität wurde verfasst von dem Juristen Prof. Dr. Christoph Engel. Er ist Direktor am Bonner Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Das zweite Gutachten beschreibt positive Erfahrungen im Ausland nach Marktstruktureingriffen. Es wurde von dem Ökonom Prof. Dr. Christian von Hirschhausen von der TU Dresden angefertigt. Bei einem Fachkongress am 6. Dezember 2007 in Wiesbaden soll der Gesetzentwurf öffentlich diskutiert werden. Unter Berücksichtigung der Fachdiskussion möchte Rhiel einen modifizierten Gesetzentwurf Anfang 2008 in den Bundesrat einbringen.
Rhiel sagte ferner, auch der Staat habe durch höhere Abgaben und Steuern erheblich zum Anstieg der Strompreise beigetragen. „Die Politik sollte auch vor der eigenen Haustüre kehren!“, forderte er und sagte: „Die Stromsteuer sollte mindestens halbiert werden von zwei auf ein Cent je Kilowattstunde. Das erspart einem Durchschnittshaushalt mit 3.500 Kilowattstunden Jahresverbrauch rund 35 Euro pro Jahr.“ Eine Senkung der Stromsteuer sei möglich, ohne den Bundeshaushalt zu belasten. Zur Gegenfinanzierung sollten die CO2-Verschmutzungszertifikate gegenüber den Stromerzeugern komplett versteigert und nicht überwiegend verschenkt werden - wie für die nächste Handelsperiode 2008 bis 2012 leider vorgesehen.
Den
Kern des hessischen Gesetzentwurfes bildet eine neue Vorschrift in Paragraph 41
a GWB, die einen staatlichen Eingriff in die Marktstruktur ermöglicht, um
Wettbewerb in Gang zu setzen. Das Bundeskartellamt muss zunächst prüfen, ob hohe
Aufgreifschwellen überschritten sind. Erst wenn von ihm festgestellt ist, dass
alle Aufgreifschwellen überschritten sind, darf es prüfen, ob und wie es
eingreift in einen vermachteten Markt.
Dazu muss es mehrere
Eingreifkriterien beachten, erläuterte Rhiel weiter:
• Das
Bundeskartellamt darf einen Zwangsverkauf von Produktionskapazitäten nur
anordnen, wenn dies eine spürbare Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen
erwarten lässt. Alle zielführenden Maßnahmen seien zu prüfen: Dies reiche von
Aktien-Splits als pro-rata Entflechtung über die Ausgliederung einzelner assets
wie etwa Kraftwerken bis hin zur Abspaltung ganzer Unternehmensteile.
•
Der oder die Erwerber dürfen auf dem betroffenen Markt keine beherrschende
Stellung innehaben oder durch den Erwerb erlangen und dürfen nicht mit dem
betroffenen Unternehmen konzernmäßig verbunden sein. Das betroffene Unternehmen
kann selbst Vorschläge für eine Unternehmensumgestaltung unterbreiten.
•
Das betroffene Unternehmen muss der Anordnung des Bundeskartellamtes in einem
angemessenen Zeitraum (in der Regel binnen zwei bis drei Jahren) nachkommen.
Falls nicht, wird ein Treuhänder eingesetzt, der den vom Bundeskartellamt
bestimmten Vermögensteil versteigert.
Widerruf von Fusionen
Neben
dem neuen Paragraphen zum Zwangsverkauf von Produktionskapazitäten beinhaltet
das Gesetz eine weitere neue Vorschrift, die einen nachträglichen Widerruf der
Freigabe von Fusionen erlaubt. Rhiel hält es für „wettbewerbspolitisch
inakzeptabel“, auf die Widerrufsmöglichkeit bei Fusionen zu verzichten. „Denn
das hieße, Bestandsschutz zu gewähren für Unternehmen, die dank einer
genehmigten Fusion in eine marktbeherrschende Stellung wuchsen und diese nun
dauerhaft missbrauchen können“, sagte der Minister
Marktstruktureingriff
soll Wettbewerb starten und Großhandelspreise senken
„Ein Marktstruktureingriff soll Wettbewerb stimulieren und preisdämpfend auf die Großhandelspreise der Stromerzeuger wirken“, erklärte Rhiel. „Eine wettbewerbsinduzierte Reduzierung der Großhandelspreise für Strom von derzeit über sechs Cent je Kilowattstunde um rund zwei Cent/kWh auf rund vier Cent/kWh halte ich für möglich“, sagte er.
Quelle: Pressemitteilung Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung