Grüne werfen Behörden im Fall Amri Ermittlungsversäumnisse vor
Archivmeldung vom 21.05.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićGutachten hatte auf DNA-Spuren einer bisher unbekannten Person im Führerhaus des Todes-Lkw hingewiesen. Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt haben bislang keinen Abgleich mit der DNA eines als "Gefährder" eingestuften Weggefährten von Anis Amri durchgeführt
Im Fall des islamistischen Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 sehen sich die Ermittlungsbehörden dem Vorwurf einer unzureichenden Auswertung von DNA-Spuren am Tatort ausgesetzt. Die Bundesregierung musste auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen einräumen, dass DNA-Spuren einer bisher unbekannten Person aus dem Führerhaus des bei dem Anschlag genutzten Todes-Lkw bislang nicht mit einem als anschlagsbereiten "Gefährder" eingestuften Vertrauten des Attentäters Anis Amri abgeglichen wurden. Die Grünen kritisierten den unterlassenen Abgleich gegenüber rbb24 Recherche und der "Berliner Morgenpost" als "inakzeptable Passivität".
Bei Amris islamistischem Weggefährten handelt es sich um den 22 Jahre alten Berliner Walid S. Bereits 2015 soll er versucht haben, in den Irak zu reisen, um sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" anzuschließen. Im April 2018 stand er im Verdacht, einen Anschlag auf den Berliner Halbmarathon geplant zu haben. Am Tag des Breitscheidplatz-Anschlags hatten Amri und Walid S. sich in Berlin-Wedding zu einem gemeinsamen Restaurant-Besuch getroffen. Nur wenige Stunden nach dem Anschlag griffen Polizisten Walid S. in unmittelbarer Nähe des Tatortes am Breitscheidplatz auf.
Das Bundeskriminalamt und die Ermittler der Bundesanwaltschaft hatten Amri bisher stets als Einzeltäter dargestellt. Forensiker des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein hatten in einem Gutachten für den Untersuchungsausschuss des Bundestages jedoch auf DNA-Spuren im Führerhaus des Todes-Lkw hingewiesen, die bisher keiner Person zugeordnet werden konnten. Der Lkw sei zwar womöglich von Anis Amri gesteuert worden. Aufgrund der Spurenlage könne aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Person den Lkw steuerte, befanden die Gutachter.
Die Grünen kritisieren angesichts dieser Einschätzung, dass von Walid S. bislang keine DNA-Probe genommen wurde, um sie mit den nicht zuzuordnenden DNA-Spuren vom Lkw abzugleichen. Angesichts der Erkenntnisse zu dem Islamisten sei dies "völlig unverständlich", sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic. "Diese Passivität ist inakzeptabel und behindert die ernsthafte Aufklärung des Anschlags und seiner Ursachen", sagte Mihalic. Der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, warf der Bundesregierung vor, sich für die Frage möglicher Mittäter nicht zu interessieren. "Das ist nicht nur bedauerlich, sondern gefährlich. Denn wer nichts klärt, der lernt auch nichts", sagte von Notz.
Die Bundesregierung erklärt in der Antwort auf die Grünen-Anfrage, dass für die zwangsweise Erhebung einer Speichelprobe bei Walid S. nach dem Anschlag die rechtlichen Voraussetzungen gefehlt hätten und weiterhin fehlten. Daher liege auch kein Versäumnis vor. Die Grünen verweisen indes darauf, dass die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Walid S. wegen mehrerer im vergangenen Jahr begangener Straftaten ermittelt hatte. Vor wenigen Wochen wurde Walid S. wegen dieser Taten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Laut §81g der Strafprozessordnung wäre angesichts der Schwere der Straftaten daher auf richterliche Anordnung die Entnahme einer DNA-Probe möglich gewesen.
Quelle: rbb - Rundfunk Berlin-Brandenburg (ots)