Sicherheitsexpertinnen halten Zeitenwende-Politik für defizitär
Archivmeldung vom 11.10.2024
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.10.2024 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićKurz vor dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Berlin üben renommierte Sicherheitsexpertinnen fundamentale Kritik an der Zeitenwende-Politik von Kanzler Olaf Scholz (SPD).
"Anfangs revolutionär, dann zunehmend evolutionär und nun vor allem
defizitär - so lässt sich eine Bestandsaufnahme der Außen- und
Sicherheitspolitik der Ampelkoalition drei Jahre nach Amtsantritt und
knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl zusammenfassen", schreiben die
Militärexpertinnen Jana Puglierin und Claudia Major in einem gemeinsamen
Gastbeitrag für das "Handelsblatt".
Auf die Zeitenwende-Rede von
Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar 2022 folgten zwar eine Reihe an
Entscheidungen, die gemessen an dem, wo Deutschland vor dem russischen
Angriffskrieg gestanden habe, einer Revolution gleichgekommen seien.
"Dazu gehören die Waffenlieferungen an die Ukraine und die permanente
Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen genauso wie die
Entscheidung, die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden." Doch je
länger der Krieg gegen die Ukraine andauerte, ohne dass Russland in
größerem Maße weiteres Territorium erobern konnte, desto stärker sei in
Berlin das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Reformen geschwunden -
oder sogar für deren Notwendigkeit, so die Militärexpertinnen. Die
Zeitenwende sei zu einem Projekt unter vielen geworden, das möglichst
unbemerkt vom Bürger und ohne größere Einbußen habe umgesetzt werden
sollen.
"Zu einer signifikanten Erhöhung des regulären
Verteidigungshaushalts, die die Transformation der Bundeswehr zur
schlagkräftigen Armee erst nachhaltig machen würde, konnte sich die
Regierung bei den Haushaltsverhandlungen bis jetzt nicht durchringen",
schreiben Puglierin und Major. Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben
speise sich aus dem Sondervermögen, das 2028 ausgegeben sein werde. "Wie
oder ob die sicherheitspolitische Zeitenwende dann weiter finanziert
werden soll, ist unklar. Viele in der Bundeswehr befürchten
mittlerweile, dass die Zeitenwende schon wieder abgesagt wurde, bevor
sie bei der Truppe überhaupt ankommen konnte", so die Expertinnen.
Jana
Puglierin ist Leiterin des Think-Tanks European Council on Foreign
Relations (ECFR) in Berlin; Claudia Major ist Forschungsgruppenleiterin
für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in
Berlin.
Quelle: dts Nachrichtenagentur