Wowereit: Ein schwuler Kanzler wäre möglich
Archivmeldung vom 19.09.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit hält die Deutschen für ausreichend tolerant, einen Homosexuellen zum Kanzler zu wählen. "Ich glaube, das wäre möglich", sagte er auf die Frage des Hamburger Magazins stern, ob ein Schwuler Kanzler werde könne.
Die deutsche Gesellschaft sei liberaler
geworden. Allerdings bekomme er auch noch "genügend Schmähbriefe. Mit
sexistischem Inhalt übelster Art", so der SPD-Politiker, der sich auf
einem Landesparteitag im Juni 2001 geoutet hatte ("Ich bin schwul,
und das ist auch gut so"). "Mein Outing hätte die Öffentlichkeit auch
überfordern können. Das war schon ein Risiko", so Wowereit
rückblickend.
In seiner Familie sei dagegen zuvor nie offen über seine
Homosexualität gesprochen worden. Seine 1995 verstorbene Mutter habe
es gewusst, "davon bin ich fest überzeugt. Aber wir haben nicht
darüber geredet. Es war eben kein Thema. Sie wusste es - und fertig",
sagte Wowereit dem stern. Sein Lebensgefährte, der Arzt Jörn Kubicki
habe ihn bei der Pflege seiner Mutter unterstützt. "Sie mochte ihn.
Sie hat ihn ,mein Studentchen' genannt."
Im stern bekannte sich Wowereit auch zu seiner Sympathie für Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Als Person ist sie mir sympathisch. Über diese Frau ist kübelweise Gülle ausgeschüttet worden. Und sie hat gestanden. Sie hat sich in der CDU-Männerwelt durchgesetzt." Das könne man auch als politischer Gegner anerkennen, "ohne in den Verdacht zu geraten, dass man selber den momentanen Marienkult pflegt".
Klaus Wowereit
(SPD) hat seiner Partei eine "stabile Mobbingkultur" vorgeworfen.
"Die Parteispitze könnte mal ein 14-tägiges Ruderseminar gebrauchen.
Beim Rudern merkt man ganz brutal, wenn einer die anderen hängen
lässt und man den Riemen ins Kreuz bekommt. Das kann recht lehrreich
sein", sagt Wowereit in der neuen, am Donnerstag erscheinenden
Ausgabe des Hamburger Magazins stern.
"Wir brauchen ein Klima, in dem
Kritik als konstruktiv empfunden wird", fügte der SPD-Politiker
hinzu. Zugleich rief Wowereit die Sozialdemokraten auf, "mutiger" zu
sein. "Nehmen wir den Mindestlohn. Da muss man eine Summe nennen! Es
ist doch klar, dass der Mindestlohn sich um 7,50 Euro bewegen wird.
Das müssen wir auch sagen", forderte er im stern.
Um eine Pflegekatastrophe in Deutschland zu verhindern, plädiert
Wowereit für die Einführung eines Elternpflegejahres. "Wer Vater oder
Mutter pflegen will, muss vom Arbeitgeber freigestellt und vom Staat
finanziell unterstützt werden", sagte er dem stern. In der
Ausgestaltung stelle er sich das "genau so" vor wie die Elternzeit
bei Kindern. "Bis auf wenige Ausnahmen könnten alle ihre Eltern
pflegen - unter Einschränkung ihrer Individualität und ihres Lebens"
so der SPD-Politiker. Er habe "zwar großes Verständnis für
alle, die es nicht tun. Die können mir nur nicht erzählen, dass es
nicht geht".
Wowereit hatte selbst jahrelang seine kranke Mutter und
seinen querschnittsgelähmten Bruder gepflegt, "wickeln, waschen,
alles". "Es musste geholfen werden, ich war da, also."
Wowereit setzte sich erneut dafür ein, Koalitionen der SPD mit der
Linkspartei in den Bundesländern zu prüfen. "Wir müssen uns Optionen
öffnen", sagte er dem stern. In Anspielung auf die ablehnende Haltung
von SPD-Chef Kurt Beck sagte Wowereit: "Denkverbote nutzen nur dem
politischen Gegner." Im Bund sei 2009 eine rot-rote Koalition
undenkbar. "Aber auf Landesebene muss das jeder für sich entscheiden.
Wenn man Tabus aufbaut, landet man nur in der babylonischen
Gefangenschaft mit der CDU."
Die SPD-interne Auseinandersetzung um den vorsorgenden Sozialstaat bezeichnete Wowereit als "nur ein Streit um Worte". "Wir müssen aufpassen, dass wir die Leute nicht zu sehr bemuttern, ihnen alles abnehmen", sagte er dem stern. "Es gibt eine Verantwortung der Solidargemeinschaft gegenüber Hilfsbedürftigen. Aber der Staat ist nicht für alles da." Es gebe auch "keine Entschuldigung dafür, dass man kriminell wird, weil man aus einfachen Verhältnissen stammt".
Quelle: Pressemitteilung stern