Kirchhof: Wirtschaftsakteure entfernen sich vom Kerngedanken des Grundgesetzes
Archivmeldung vom 18.06.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas heutige Wirtschaftsleben entspricht nicht immer dem, was das Grundgesetz will, stellt der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof in einem Essay für das "Handelsblatt" fest. Beispielsweise biete das Internet "ein grandioses Freiheitsinstrument, ist aber zugleich ein moderner Pranger, den der Verfassungsstaat endgültig abgeschafft zu haben glaubte. Hier hat das Grundgesetz Boden verloren", schreibt Kirchhof. Es ginge nicht an, so der ehemalige Verfassungsrichter, dass Menschen, die ihr Grundrecht wahrnehmen, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, von Suchmaschinen abgeschöpft und statistischen Gruppen - Käufern und Konsumenten, gesundheitlichen und kreditpolitischen Risikogruppen, Verdächtigen, Straftätern, Staatsfeinden - zugeordnet würden.
"Ich kaufe über meinen PC Fachliteratur, aber auch für unsere Enkel Kinderbücher. Deshalb erreicht mich die Werbung für beide Buchgruppen. Doch welches Spiegelbild meines intellektuellen Grundbefindens die `Suchmaschine` durch Kombination dieser beiden Nachfragesparten von mir erstellt, möchte ich mir nicht ausmalen." Als ein weiteres Beispiel nennt Kirchhof die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen: Immer mehr Waren würden durch Roboter und Computer hergestellt. Dass der Ertrag aus dem Maschineneinsatz allein dessen Geldgeber zukommen soll, zweifelt er an: "Einkommen und Vermögen werden so immer mehr zugunsten derer verteilt, die über Investitionskapital verfügen." Kirchhof schlägt vor, nach Wegen zu suchen, durch die "vermehrt Erfinder, Techniker, Zulieferer, auch die in Vertrieb und Reparatur Tätigen an Gewinn und Verlust teilhaben". Das Grundgesetz erkenne den Erwerb durch menschliche Arbeit an; Maschinen hätten eine dienende Funktion und müssten den Menschen zugeordnet werden, die zu ihrer Nutzung beigetragen haben.
Kirchhof will außerdem die Rechte von Urhebern besser gewahrt sehen: Heute beanspruchten häufig die IT-Unternehmen "die Eigentumsnutzung, die das Grundgesetz aber dem Urheber zuweist".
Kirchhof kritisiert, dass die IT-Unternehmen die Technik der Informationsspeicher, der Informationsnutzung und der Informationsverbreitung für einen Zugriff auf Betriebsgeheimnisse und geistiges Eigentum nutzen. Auch 65 Jahre nach seiner Einführung gebe das Grundgesetz Antwort auf die Frage, wie die Ansprüche der hochtechnisierten und globalisierten Wirtschaft mit der Freiheit des Einzelnen vereinbar sind. Jedoch müsse das "Recht Autorität und Gestaltungsmacht zurückgewinnen, indem es sich auf die Regelung des Grundsätzlichen beschränkt", fordert Kirchhof.
Quelle: dts Nachrichtenagentur