Sozialbeirat hält Kritik an Rente mit 63 für überzogen
Archivmeldung vom 02.05.2014
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Freigeschaltet durch Doris OppertshäuserDer Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Gert Wagner, hält die von Teilen der Union und der Wirtschaft geäußerten Warnungen zu den Folgen der Rente mit 63 für übertrieben. "Die abschlagsfreie Rente mit 63 wird weniger Auswirkungen am Arbeitsmarkt haben, als viele fürchten", sagte der Regierungsberater der "Welt". Wenn es stimme, dass qualifizierte Arbeitskräfte knapp seien, würden sich Betriebe viel Mühe geben, sie mit guten Arbeitsbedingungen zu halten. "Hinzu kommt: Das Rentenniveau ist ja am sinken. Es wird Anspruchsberechtigte geben, denen die Rente zu niedrig ist und deswegen später gehen", so Wagner.
Eine neue Frühverrentungsmentalität sei nicht zu erwarten, da die Neuregelung nur für wenige Jahre gelte. Der Sozialbeiratschef rechnet zudem nicht damit, dass die Regelung viele Unternehmen verleiten könnte, Mitarbeiter mit einem "goldenen Handschlag" und unter Hinweis auf die Rente mit 63 schon zwei Jahre früher in den Vorruhestand zu schicken, wie dies etwa der CDU-Wirtschaftsflügel befürchtet. Zwar werde es einige Firmen geben, denen es schlecht gehe, die versuchen würden, ältere Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit zu schicken, die dann mit 63 in Rente gehen sollen. Doch werde ein derartiges Ausnutzen der Neuregelung "keine große Rolle spielen", unterstrich Wagner.
Auch die Kritik an den Kosten des Rentenpakets hält das Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) für übertrieben. "Das ist verkraftbar", so Wagner. Allerdings könne er Kritiker verstehen, die sich fragen, ob man das Geld nicht besser für andere Zwecke - etwa für mehr öffentliche Investitionen - verwendet hätte. An dem steigenden Risiko der Altersarmut ändere das Rentenpaket allerdings nichts, sagte der Regierungsberater weiter. Nach Berechnungen der Arbeitgeber gefährdet das Rentenpaket dagegen durchaus die Stabilität des Rentensystems. Das Vorhaben "macht die bisherigen Anstrengungen zur Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung in großen Teilen zunichte", heißt es nach Informationen des Blattes in der Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) für die öffentliche Anhörung im Bundestag am kommenden Montag.
Die Rente mit 63 sei ein "kapitaler Fehler" und bedeute eine Umverteilung zugunsten besonders gut versorgter Versicherter. Kritisiert wird von den Arbeitgebern auch, dass die Beitragszahler Mütterrenten für Ärzte, Anwälte oder Selbstständige finanzieren müssten, die selbst nie in die Rentenkasse eingezahlt hätten. Das gesetzliche Beitragsziel, nach dem der Beitragssatz 22 Prozent bis 2030 nicht übersteigen darf, "gerät durch das Rentenpaket ernsthaft in Gefahr", warnt die BDA. Überdies drohten auch der Bundesagentur für Arbeit erhebliche Haushaltsrisiken durch neue Möglichkeiten zum Vorruhestand.
Die überwältigende Mehrheit der Deutschen erwartet, dass die abschlagsfreie Rente mit 63 zu Steuererhöhungen und steigenden Beiträgen führt. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag des Verbandes Die Familienunternehmer, die dem Blatt exklusiv vorliegen. Danach rechnen 77 Prozent der Befragten, dass infolge der geplanten Regelung die Rentenbeiträge spätestens 2017 angehoben werden. Ebenso viele Bürger halten höhere Steuern zur Finanzierung für wahrscheinlich. Dass die Rente mit 63 zudem die Staatsschulden ansteigen lässt, meinen 69 Prozent der Befragten. "Die Deutschen können eins und eins zusammenzählen und ahnen, dass es sich beim CDU-Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, um ein Alibi-Versprechen handelt", sagte der Präsident der Familienunternehmer, Lutz Goebel, dem Blatt.
Quelle: dts Nachrichtenagentur