Neue Pflanzenfamilie entdeckt und 222jähriges Rätsel gelöst
Archivmeldung vom 08.01.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSelbst bei scheinbar gut bekannten Organismen wie den Blütenpflanzen gibt es noch immer Überraschungen: Eine kleine Gattung mit Kräutern aus den Tropen Amerikas wurde jetzt als isolierte Linie innerhalb der Ordnung der Nelkenartigen entdeckt. Damit wird ein 222jähriges Rätsel um die nähere Verwandtschaft dieser Pflanzen gelöst.
Gelungen ist dies einem Forschungsteam aus
Berlin, Bonn und Münster um Thomas Borsch, Direktor des Botanischen
Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem der Freien Universität
Berlin. Die Familie Microteaceae wird wissenschaftlich erstmals
beschrieben und im Baum des Lebens klassifiziert in der neusten Ausgabe
der Fachzeitschrift Willdenowia.
222jähriges Rätsel gelöst
"DNA-Analysen haben zweifelsfrei bewiesen, dass es sich um eine bisher
völlig falsch gruppierte Gattung handelte." sagt Borsch, Autor der neu
beschriebenen Pflanzenfamilie. Dabei sind diese Pflanzen bereits seit
langem bekannt und wurden schon durch mehrere Generationen von
Botanikern erforscht. 1788 wurde die Gattung Microtea vom schwedischen
Botaniker Olof Swartz beschrieben. Ihre nähere Verwandtschaft blieb
jedoch bis heute ein großes Rätsel. Da ihre Arten einerseits
Ähnlichkeiten mit Gänsefußgewächsen (Chenopodiaceae) und
Kermesbeerengewächsen (Phytolaccaceae) aufweisen, wurde Microtea
traditionell innerhalb einer der beiden Familien klassifiziert. Erst
jetzt gelang es durch Analyse der Erbsubstanz einen gesicherten Platz
im Stammbaum der Ordnung der Nelkenartigen (Caryophyllales) zu finden.
Eine enge Verwandtschaft sowohl mit den Gänsefuß- als auch mit den
Kermesbeerengewächsen wurde damit klar ausgeschlossen. Vielmehr handelt
es sich bei Microtea um eine eigenständige Evolutionslinie. Aufgrund
der besonderen Stellung im Stammbaum Blütenpflanzen und der
morphologischen Verschiedenheit werden die Arten der Gattung Microtea
ab jetzt in einer eigenen Familie, Microteaceae, zusammengefasst.
Die neue Familie Microteaceae
Die Familie Microteaceae umfasst ca. 12 Arten. Es sind alles einjährige, krautige Pflanzen. Sie sind von Mittelamerika und den Antillen bis nach Südamerika verbreitet. Die Microteaceae sind damit eine der wenigen Pflanzenfamilien, die ausschließlich in den amerikanischen Tropen vorkommen. Die Art Microtea debilis wird unter anderem aufgrund des Inhaltsstoffes Cirsimarin pharmakologisch genutzt.
Das Forschungsinteresse an der Gattung Microtea besteht am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem bereits seit über hundert Jahren. Der Biologe Ignatz Urban beschrieb 1885 neue Arten im Rahmen seiner Forschungen in der Karibik und beschäftigte sich mit der Blütenmorphologie der Gattung. Der spätere Direktor Theo Eckardt untersuchte in den 1950er bis 1970er Jahren die Anatomie. Die aktuellen Analysen des Erbgutes konnten jetzt das Wissen über diese Gattung bereichern.
"Unser Bild der Evolution von Organismen wird fortwährend revolutioniert und es gibt immer noch viel, von dem wir nichts wissen." sagt Borsch. Die jetzigen Forschungsergebnisse gehören zu einem umfassenderen Projekt, bei dem die Verwandtschaftsverhältnisse der Blütenpflanzen aufgeklärt werden. Dazu werden ganz bestimmte Abschnitte aus den Genomen einer Vielzahl verschiedener Pflanzen sequenziert und mit Hilfe von Computerprogrammen vergleichend analysiert. Die Datensätze aus DNA-Sequenzen der Dahlemer Forscher umfassen mittlerweile hunderte von Arten aus allen Pflanzenfamilien.
Spannend ist, dass sich durch die heute in großem Stil mögliche Analyse der Erbsubstanz dabei selbst bei scheinbar gut bekannten Organismen wie der Blütenpflanzen noch immer viele Überraschungen ergeben. Im gleichen Projekt wurde erst 2005 die neue Familie der Linderniaceae entdeckt, die auch in der einheimischen Flora vorkommt. Die Untersuchungen können an Pflanzen durchgeführt werden, die in der Sammlung des Botanischen Gartens sowie im Herbar vorhanden sind. Diese Sammlungen sind damit von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
Quelle: Freie Universität Berlin