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Neue Pflanzenfamilie entdeckt und 222jähriges Rätsel gelöst

Archivmeldung vom 08.01.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.01.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Digitalisierter Herbarbeleg von Microtea portoricensis Urb., gesammelt von Paul Sintensis am 20.1.1885 in Puerto Rico - Holotypus im Herbarium des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem Foto: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem
Digitalisierter Herbarbeleg von Microtea portoricensis Urb., gesammelt von Paul Sintensis am 20.1.1885 in Puerto Rico - Holotypus im Herbarium des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem Foto: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem

Selbst bei scheinbar gut bekannten Organismen wie den Blütenpflanzen gibt es noch immer Überraschungen: Eine kleine Gattung mit Kräutern aus den Tropen Amerikas wurde jetzt als isolierte Linie innerhalb der Ordnung der Nelkenartigen entdeckt. Damit wird ein 222jähriges Rätsel um die nähere Verwandtschaft dieser Pflanzen gelöst.

Gelungen ist dies einem Forschungsteam aus Berlin, Bonn und Münster um Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin. Die Familie Microteaceae wird wissenschaftlich erstmals beschrieben und im Baum des Lebens klassifiziert in der neusten Ausgabe der Fachzeitschrift Willdenowia. 222jähriges Rätsel gelöst
"DNA-Analysen haben zweifelsfrei bewiesen, dass es sich um eine bisher völlig falsch gruppierte Gattung handelte." sagt Borsch, Autor der neu beschriebenen Pflanzenfamilie. Dabei sind diese Pflanzen bereits seit langem bekannt und wurden schon durch mehrere Generationen von Botanikern erforscht. 1788 wurde die Gattung Microtea vom schwedischen Botaniker Olof Swartz beschrieben. Ihre nähere Verwandtschaft blieb jedoch bis heute ein großes Rätsel. Da ihre Arten einerseits Ähnlichkeiten mit Gänsefußgewächsen (Chenopodiaceae) und Kermesbeerengewächsen (Phytolaccaceae) aufweisen, wurde Microtea traditionell innerhalb einer der beiden Familien klassifiziert. Erst jetzt gelang es durch Analyse der Erbsubstanz einen gesicherten Platz im Stammbaum der Ordnung der Nelkenartigen (Caryophyllales) zu finden. Eine enge Verwandtschaft sowohl mit den Gänsefuß- als auch mit den Kermesbeerengewächsen wurde damit klar ausgeschlossen. Vielmehr handelt es sich bei Microtea um eine eigenständige Evolutionslinie. Aufgrund der besonderen Stellung im Stammbaum Blütenpflanzen und der morphologischen Verschiedenheit werden die Arten der Gattung Microtea ab jetzt in einer eigenen Familie, Microteaceae, zusammengefasst.

Die neue Familie Microteaceae

Die Familie Microteaceae umfasst ca. 12 Arten. Es sind alles einjährige, krautige Pflanzen. Sie sind von Mittelamerika und den Antillen bis nach Südamerika verbreitet. Die Microteaceae sind damit eine der wenigen Pflanzenfamilien, die ausschließlich in den amerikanischen Tropen vorkommen. Die Art Microtea debilis wird unter anderem aufgrund des Inhaltsstoffes Cirsimarin pharmakologisch genutzt.

Das Forschungsinteresse an der Gattung Microtea besteht am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem bereits seit über hundert Jahren. Der Biologe Ignatz Urban beschrieb 1885 neue Arten im Rahmen seiner Forschungen in der Karibik und beschäftigte sich mit der Blütenmorphologie der Gattung. Der spätere Direktor Theo Eckardt untersuchte in den 1950er bis 1970er Jahren die Anatomie. Die aktuellen Analysen des Erbgutes konnten jetzt das Wissen über diese Gattung bereichern.

"Unser Bild der Evolution von Organismen wird fortwährend revolutioniert und es gibt immer noch viel, von dem wir nichts wissen." sagt Borsch. Die jetzigen Forschungsergebnisse gehören zu einem umfassenderen Projekt, bei dem die Verwandtschaftsverhältnisse der Blütenpflanzen aufgeklärt werden. Dazu werden ganz bestimmte Abschnitte aus den Genomen einer Vielzahl verschiedener Pflanzen sequenziert und mit Hilfe von Computerprogrammen vergleichend analysiert. Die Datensätze aus DNA-Sequenzen der Dahlemer Forscher umfassen mittlerweile hunderte von Arten aus allen Pflanzenfamilien.

Spannend ist, dass sich durch die heute in großem Stil mögliche Analyse der Erbsubstanz dabei selbst bei scheinbar gut bekannten Organismen wie der Blütenpflanzen noch immer viele Überraschungen ergeben. Im gleichen Projekt wurde erst 2005 die neue Familie der Linderniaceae entdeckt, die auch in der einheimischen Flora vorkommt. Die Untersuchungen können an Pflanzen durchgeführt werden, die in der Sammlung des Botanischen Gartens sowie im Herbar vorhanden sind. Diese Sammlungen sind damit von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Quelle: Freie Universität Berlin

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