Untätige Bundesregierung gefährdet Fortbestand des Mehrwegsystems
Archivmeldung vom 10.02.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAngesichts des dramatischen Absturzes der Mehrwegquote bei alkoholfreien Getränken haben die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die Stiftung Initiative Mehrweg (SIM), der Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandels, der Verband Privater Brauereien Deutschlands und der Verband des Deutschen Getränkeeinzelhandels der Bundesregierung Untätigkeit vorgeworfen.
Insbesondere müsse die Regierung gegen "Dumpingpreise und Verbrauchertäuschung" bei den großen Discounter-Ketten vorgehen und die im Herbst 2009 im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP verabredete verbraucherfreundliche und eindeutige Kennzeichnung von Mehrweg- und Einweggetränkeverpackungen endlich umzusetzen.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch warf der Bundesregierung vor, die dringend notwendige eindeutige Kennzeichnung von Einweg und Mehrweg, aufgrund der Intervention von Einwegindustrie und Großunternehmen des Handels entgegen der Zusagen nicht umzusetzen. Darüber hinaus wird nicht einmal die geltende Verpackungsverordnung eingehalten. Danach wäre die Bundesregierung bereits Anfang 2010 verpflichtet gewesen, Bundestag und Bundesrat über die Bewertung der derzeitigen Instrumente zum Mehrwegschutz zu informieren. Bislang hüllen sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und mit ihm die ganze Regierung jedoch in Schweigen. "Die Untätigkeit des Umweltministers ist völlig unverständlich angesichts der Tatsache, dass das Getränke-Mehrwegsystem, bisher einen wirksamen Beitrag zum Ressourcen- und Umweltschutz und zur Klimaentlastung geleistet hat", sagte Resch. Mehrweggetränkeverpackungen sparten im Vergleich zu Ex- und Hopp-Plastikflaschen erhebliche CO2-Mengen ein, darüber hinaus seien sie ein wirksames Instrument zur Müllvermeidung. "Mehrwegsysteme haben sich zu einem Vorreiter der Kreislaufwirtschaft entwickelt und sind ein Vorbild auch für andere Sektoren der Lebensmittelindustrie", sagte Resch.
Resch forderte Umweltminister Röttgen auf, bei der noch in diesem Jahr bevorstehenden ökologischen Neubewertung von Getränkeverpackungen alle relevanten Stakeholder unter Leitung des Umweltbundesamtes einzubeziehen. Das Bundesumweltministerium plant für dieses Jahr eine Aktualisierung der Ökobilanzen für Getränkeverpackungen. Resch begrüßte vor dem Hintergrund zumeist industriegetriebener Ökobilanzen die geplante Aktualisierung als einen wichtigen und längst überfälligen Schritt zur Versachlichung und Transparenz der Diskussion über tatsächliche Umweltauswirkungen verschiedener Getränkeverpackungen.
Die von der schwarz-gelben Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2009 vereinbarte Einführung einer verbraucherfreundlichen Kennzeichnung von Einweg- und Mehrwegflaschen wartet nach anderthalb Jahren Bearbeitungszeit immer noch auf die Umsetzung. Ein vom Bundesumweltministerium erarbeiteter Entwurf einer Kennzeichnungsverordnung wird von Seiten der Europäischen Kommission und des Bundeswirtschaftsministeriums von Rainer Brüderle blockiert. "Die Bundesregierung hat bislang keinen ernsthaften Versuch unternommen, die leicht zu entkräftenden Einwände aus Brüssel zurückzuweisen. Stattdessen sitzt sie das Problem weiter sinkender Mehrwegquoten einfach aus. Gerade der zuständige Umweltminister Norbert Röttgen muss jetzt beweisen, dass er Umweltpolitik auch in dieser Frage ernst nimmt und die Blockadehaltung seines Amtskollegen Rainer Brüderle durchbrechen. Weiteres Zögern würde die mittelständisch geprägte deutsche Getränkewirtschaft ernsthaft gefährden", kritisierte Roland Demleitner, Geschäftsführer des Verbandes Private Brauereien Deutschland.
Statt vorhandene politische Spielräume für eine sinnvoll gestaltete Kennzeichnungsverordnung auszunutzen, diskutierten Vertreter von Umwelt- und Wirtschaftsministerium untaugliche Kompromisslösungen, wie beispielsweise die Kennzeichnung der Verkaufsregale mit Einwegflaschen. "Der Verbraucher hat ein Recht auf eine klare Kennzeichnung der Getränkeverpackung nach Einweg und Mehrweg. Stattdessen führt die derzeitige Kennzeichnungspraxis weiterhin zu Verwirrung. Immer noch glaubt die Hälfte der Verbraucher, bepfandete Verpackungen seien automatisch umweltfreundliche Mehrwegverpackungen", erklärte Clemens Stroetmann, Staatssekretär a. D. und Geschäftsführer der Stiftung Initiative Mehrweg. Stroetmann forderte die Bundesregierung auf, zu ihrem eigenen Koalitionsvertrag zu stehen und die Kennzeichnungsverordnung endlich umzusetzen.
Der geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels e.V. Günther Guder bezeichnete eine klare Kennzeichnung von Einweg- und Mehrwegverpackungen als notwendigen, aber nicht hinreichenden Schritt auf dem Weg zu einem wirksamen Schutz des ökologisch vorteilhaften Mehrwegsystems. Die Erfahrung zeige, dass die Einweglobby sich von Appellen und von Maßnahmen wie der Pfandpflicht allein nicht beeindrucken lasse. "Es ist dringend erforderlich, das Mehrwegsystem zusätzlich mit einer Lenkungsabgabe auf Einweggetränkeverpackungen abzusichern. Eine ökologische Lenkungsabgabe - zusätzlich zum Pfand - würde Einwegverpackungen dauerhaft verteuern, so dass sich ihre schädlichen Umweltauswirkungen auch im Preis niederschlagen würden", sagte Guder. Aus den Einnahmen der Lenkungsabgabe auf unökologische Einwegverpackungen sollten nach Guders Vorschlag Maßnahmen zur Förderung klimafreundlicher Mehrwegsysteme finanziert werden. "Ein rascher Beschluss von Maßnahmen zum Mehrwegschutz wäre ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu 170.000 nicht exportierbaren Arbeitsplätzen in der mittelständischen Mehrwegbranche". Guder forderte auch die Spitzenkandidaten aller Parteien auf, die sich im Jahr 2011 in sieben Bundesländern zur Wahl stellen, sich für den Erhalt regionaler Wirtschaftskreisläufe mit Mehrweggetränkeverpackungen einzusetzen.
Das von der Bundesregierung mit der Evaluierung der Pfandpflicht beauftragte Augsburger bifa-Umweltinstitut hat empfohlen, die Pfandpflicht zur Stärkung des Mehrwegsystems auf alle Getränkesegmente auszuweiten. "Die Befreiung von Frucht-, Gemüsesäften und Nektaren von der Pfandpflicht führt seit Jahren zur Verwirrung von Verbrauchern. Sie können nicht nachvollziehen, warum sie für eine unökologische Plastik-Einwegflasche mit Fruchtsaft kein Pfand zahlen, aber die Cola-Einwegflasche bepfandet ist", sagte Sepp Gail, Vorsitzender des Verbandes des Deutschen Getränke-Einzelhandels. Die Bundesregierung müsse die Ausnahmeregelungen streichen und für eine konsequente und transparente Bepfandung aller Einwegverpackungen sorgen.
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V.