Atomkraftwerk Brunsbüttel: Deutsche Umwelthilfe zieht gegen Informationsblockade vor Gericht
Archivmeldung vom 28.12.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUmweltschützer wollen beim Verwaltungsgericht Schleswig sofortige Herausgabe der Schwachstellenliste des AKW Brunsbüttel erzwingen - Ministerin Trauernicht (SPD) Eindruck der "Komplizenschaft mit Vattenfall" vorgeworfen - EU-Umweltinformationsrichtlinie droht ins Leere zu laufen
Nach monatelangen vergeblichen Bemühungen, eine Liste mit "hunderten
offener Punkte" im Zusammenhang mit der Sicherheit des umstrittenen
Atomkraftwerks Brunsbüttel zu erhalten, sucht die Deutsche
Umwelthilfe e. V. (DUH) nun Hilfe beim Verwaltungsgericht Schleswig.
Die Richter sollen verfügen, dass die der DUH vom Kieler
Sozialministerium in einem Beschluss von Anfang November
grundsätzlich zugebilligte Einsicht in die so genannte
Schwachstellenliste sofort und nicht erst in mehreren Jahren gewährt
wird. Die Kieler Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) hatte die
von der DUH beantragte "sofortige Vollziehung" am 7. Dezember
verweigert, obwohl Vattenfall in dem Verfahren keine konkreten
Geheimhaltungsgründe für die seit Monaten andauernde
Informationsblockade vorgetragen hatte.
"Uns bleibt keine andere Wahl, als die Gerichte zu bemühen, weil die
Öffentlichkeit offensichtlich in einer jahrelangen Hängepartie
bewusst in Unkenntnis über den wahren Sicherheitszustand des
Altreaktors Brunsbüttel gehalten werden soll", erläuterte
DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake den Schritt seiner
Organisation. "Es geht in dieser Auseinandersetzung um die Sicherheit
der Bevölkerung vor den Risiken der Atomenergie, aber es geht auch
darum, ob die EU-Umweltinformationsrichtlinie im Schulterschluss
eines Konzerns und einer Landesministerin faktisch ausgehebelt werden
darf. Das wollen wir grundsätzlich geklärt haben."
Hintergrund der Auseinandersetzung ist eine inzwischen fünfeinhalb
Jahre zurückliegende, im Atomgesetz vorgeschriebene
Sicherheitsüberprüfung des umstrittenen Siedewasserreaktors an der
Elbe. Im Verlauf der Untersuchung hatten sich nach dem Eingeständnis
der für die Sicherheit der Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein
zuständigen Ministerin Trauernicht hunderte offene Punkte ergeben
haben, die bis zum heutigen Tag nicht geklärt sind. Seit Ende August
verlangt die DUH die Herausgabe der Liste und beruft sich dabei auf
die EU-Umweltinformationsrichtlinie, in deren Begründung ausdrücklich
festgelegt ist, dass die Informationen "so rasch wie möglich und
innerhalb einer angemessenen Frist zugänglich gemacht" werden müssen.
Ministerin Trauernicht hatte dem DUH-Antrag Anfang November zwar
grundsätzlich zugestimmt, sich aber nach einer Klage des
Brunsbüttel-Betreibers Vattenfall geweigert, die sofortige
Vollziehung der Aktenherausgabe anzuordnen. Nach ähnlichen
Erfahrungen der Umweltorganisation Greenpeace kann das im Ergebnis
eine jahrelange Verzögerung bedeuten, die sogar über das vorgesehene
Stilllegungsdatum des Brunsbüttel-Reaktors im Jahr 2008/2009
hinausreichen würde. "Ministerin Trauernicht ist verantwortlich
dafür, dass Sicherheitsdefizite, von denen niemand weiß, wie
gravierend sie sind, nach mehr als fünf Jahren immer noch nicht
behoben wurden. Das allein ist ein Skandal. Wenn sie nun die
Information der Öffentlichkeit (weiter) zu verzögern sucht, dann
liegt der Verdacht einer Komplizenschaft mit Vattenfall nahe", sagte
Cornelia Ziehm, die Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH.
Die Umweltorganisation vermutet, dass die Veröffentlichung der
Sicherheitsdefizite über Jahre hinausgezögert wurde, um Vattenfall
teure Nachrüstinvestitionen vor der bevorstehenden Stilllegung des
Meilers zu ersparen. Dazu passe auch die von leitenden Mitarbeitern
in Brunsbüttel erklärte Bereitschaft, beispielsweise die
Sicherheitsleittechnik des Reaktors dann - und anscheinend nur dann -
umfangreich nachzurüsten, wenn der Staat einer Laufzeitverlängerung
von mindestens etlichen Jahren zustimme. "Nach solchen Aussagen
stellt sich zum wiederholten Mal die Frage, ob das Versprechen
´Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit` in Brunsbüttel noch gilt.
Wir haben immer gesagt, wenn die Schwachstellenliste so harmlos ist,
wie Vattenfall glauben machen möchte, dann stellt sich Frage, warum
aus ihr seit Monaten ein Staatsgeheimnis gemacht wird", sagte Baake.
Wenn sich allerdings herausstelle, dass die Liste "gravierende
Sicherheitsdefizite enthält, dann steht die Kieler Atomaufsicht im
Feuer, weil sie die Probleme mehr als fünf Jahre lang hat schleifen
lassen."
Quelle: Pressemitteilung DUH