Neue Erkenntnisse zur Artenvielfalt und Bioproduktivität in Ökosystemen
Archivmeldung vom 18.07.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEine multinationale Forschungsgruppe hat erstmals in weltweit koordinierten Forschungsarbeiten die Zusammenhänge zwischen pflanzlicher Biomasse und pflanzlicher Artenvielfalt in Ökosystemen untersucht. Dabei stellte sich heraus: Der größte Artenreichtum ist dort zu beobachten, wo die Produktion von Biomasse weder sehr niedrig noch signifikant hoch ist, sondern sich auf einem mittleren Niveau bewegt. Wenn die Zahl der Arten sinkt, wird die Leistungsfähigkeit von Ökosystemen geschwächt. Die Forschungsergebnisse, zu denen Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein und Prof. Dr. Anke Jentsch von der Universität Bayreuth maßgeblich beigetragen haben, werden im Wissenschaftsmagazin „Science“ vorgestellt.
Weltweit hängt das Leben und Überleben von Menschen davon ab, dass Ökosysteme grundlegende Serviceleistungen erbringen, wie beispielsweise die Neubildung von Grundwasser, die Speicherung wertvoller Nährstoffe, die Filterung von Schadstoffen oder die Bereitstellung von Grünfutter. Diese Vielfalt natürlicher Serviceleistungen ist in der Regel umso eher gewährleistet, je größer die Artenvielfalt in einem Ökosystem ist. Bislang waren wissenschaftliche Befunde zur Artenvielfalt, die an einzelnen Standorten gewonnen wurden, nur schwer miteinander vergleichbar. Denn die angewendeten Methoden waren zu unterschiedlich. Nun aber hat ein internationaler Forschungsverbund erstmals in weltweit koordinierten Forschungsarbeiten die Zusammenhänge zwischen pflanzlicher Biomasse und pflanzlicher Artenvielfalt in Ökosystemen untersucht. Überall wurde die gleiche Methodik auf standardisierten Untersuchungsflächen angewendet – und zwar so, dass an jedem Standort nährstoffarme, mittlere und nährstoffreiche Flächen erforscht wurden.
Mehr als 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – darunter ein Forschungsteam der Universität Bayreuth – haben an diesem Projekt mitgewirkt. Auf insgesamt 30 Versuchsflächen, die sich auf 19 Länder in sechs Kontinenten verteilen, haben sie Daten ermittelt, die zuverlässige Rückschlüsse auf die produzierte Biomasse erlauben und es zugleich ermöglichen, die Zahl der an der Biomasseproduktion beteiligten Pflanzenarten realistisch einzuschätzen. In den meisten Fällen handelte es sich um Grünlandflächen, die als Weideland genutzt oder regelmäßig gemäht werden. Aber auch natürliches Grasland war vertreten.
Größter Artenreichtum bei mittlerer Produktivität
Die jetzt im Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlichten Ergebnisse dieses Forschungsverbundes weisen alle in die gleiche Richtung: Artenvielfalt und Produktivität hängen eng zusammen. Die größte Artenvielfalt wurde in der Regel auf Versuchsflächen ermittelt, auf denen die Biomasseproduktion ein mittleres Niveau erreicht. In unproduktiven Ökosystemen hingegen ist der Beitrag der Artenvielfalt zur Biomasseproduktion eher gering. Denn hier sind die Arten zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt, wie etwa Trockenheit oder einem Mangel an mineralischen Nährstoffen. In hochproduktiven Ökosystemen, also an nährstoffreichen und gut wasserversorgten Standorten, erobern einige wenige Arten eine dominierende Stellung, weil sie besonders leistungsfähig sind. Für die Produktivität dieser Ökosysteme hat die Artenvielfalt nur eine geringe Bedeutung.
Eine mittlere Produktivität von Ökosystemen geht daher – so das zentrale Ergebnis der Studie – weltweit mit einer vergleichsweise großen Artenvielfalt einher. Wenn in diesen Lebensgemeinschaften der Artenreichtum schwächer wird oder verloren geht, ist damit ein Verlust ökosystemarer Leistungsfähigkeit verbunden.
Konsequenzen für Umwelt- und Naturschutz
„Aus unserer Studie lassen sich zahlreiche Anregungen für umweltpolitische Maßnahmen ableiten, die auf den Erhalt der für den Menschen so wichtigen Artenvielfalt abzielen. So sollte insbesondere im mitteleuropäischen Grünland die Artenvielfalt unbedingt erhalten werden. Wenn wir Arten verlieren, verlieren wir kostenlose Leistungen der Natur und müssen diesen Verlust dann über Düngung oder Maschineneinsatz kompensieren. Dies wiederum hätte Umweltbelastungen und einen erhöhten Energieverbrauch zur Folge. Die natürlichen Leistungen sind jedoch ohne Risiken und kostenfrei“, erklärt Prof. Beierkuhnlein , der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Biogeografie innehat.
„Unsere in ‚Science‘ veröffentlichten Ergebnisse bestätigen übrigens eine ältere Forschungshypothese, die zuvor noch nie systematisch auf globaler Ebene überprüft werden konnte. Im Rahmen unseres multinationalen Projekts haben wir sie jedoch zuverlässig erhärten können,“ fügt der Bayreuther Ökologe hinzu. Er betont aber zugleich, dass mit diesen Arbeiten erst ein Anfang gemacht sei. Weitere Untersuchungen würden folgen müssen, um die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen der in Ökosystemen produzierten Biomasse und der Zahl der daran beteiligten Arten noch genauer aufzuklären.
Forschungsbeiträge aus der Universität Bayreuth
Seitens der Universität Bayreuth war ein vierköpfiges Forschungsteam an den interkontinentalen Forschungsarbeiten beteiligt. Prof. Beierkuhnlein und Reinhold Stahlmann, MAS, haben die Forschungsflächen in Deutschland untersucht, die sich alle im Umland der Stadt Bayreuth befinden. Zusammen mit Prof Dr. Anke Jentsch, Professorin für Störungsökologie an der Universität Bayreuth, war Prof. Beierkuhnlein auch für die Messungen in Österreich zuständig, die auf Forschungsflächen in den Ötztaler Alpen stattfanden. „Diese Region ist vor allem deshalb besonders interessant, weil es sich um besonders artenreiche Bergwiesen handelt, die mit erheblichem Arbeitsaufwand auf traditionelle Weise bewirtschaftet werden“, erklärt Prof. Jentsch. Camilla Wellstein, die als Postdoc am Bayreuther Lehrstuhl für Biogeographie tätig war und heute an der Universität Bozen lehrt, hat an der Untersuchung der italienischen Forschungsflächen mitgearbeitet.
HerbDiv-Net – ein multinationales Forschungsnetzwerk
Der multinationale Forschungsarbeiten, die von Dr. Lauchlan Fraser an der Thompson Rivers University in Kamloops/Kanada geleitet wurden, sind Teil des Forschungsnetzwerks „HerbDivNet“. Die Mitglieder dieses Netzwerks verfolgen gemeinsam das Ziel, durch aufeinander abgestimmte wissenschaftliche Experimente an global oder regional verteilten Standorten (Coordinated Distributed Experiments, CDE) generalisierbare Erkenntnisse zu gewinnen, die für strategische Planungen im Umwelt- und Naturschutz unerlässlich sind. Prof. Dr. Anke Jentsch gehört dem Leitungsgremium von „HerbDivNet“ an.
Quelle: Universität Bayreuth (idw)