Meeresplankton ist ungleich aktiv und ungleich verteilt
Archivmeldung vom 16.11.2019
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtEin internationales Forschungskonsortium mit ETH-Beteiligung zeigt auf: Meeresplankton ist in warmen Ozeanen vielfältiger als in polaren Meeren, sowohl was die Artenzahl als auch die biologischen Aktivitäten der Planktongemeinschaften betrifft. Im Zuge des Klimawandels könnte es zu einer Umverteilung des Planktons in den Weltmeeren kommen.
Der Ozean ist das einzige zusammenhängende Ökosystem der Erde. Unzählige Viren, Mikroben, pflanzliche und tierische Einzeller und winzige Tierchen bilden das Plankton, das freischwebend mit den Meeresströmungen driftet.
Plankton hat – auch wenn seine Bestandteile noch so klein und unbedeutend erscheinen mögen –überaus wichtige Funktionen. So bildet es die Grundlage aller marinen Nahrungsketten. Zudem produzieren photosynthetisch aktive Planktonbestandteile wie Algen und Blaualgen enorm viel Sauerstoff und binden gleichzeitig einen grossen Teil des atmosphärischen Kohlendioxids.
In zwei neuen Studien, die soeben in der Fachzeitschrift «Cell» erschienen sind, zeigt ein internationales Forschungskonsortium, darunter die Arbeitsgruppe für Mikrobiomforschung unter der Leitung von ETH-Professor Shinichi Sunagawa, wo die wichtigsten Gruppen von Planktonlebewesen vorkommen und wie sie sich an die natürlichen Begebenheiten der jeweiligen Meeresgebiete anpassen.
Gene und ihre Trankripte untersucht
In einer der beiden Teilstudien untersuchten Sunagawa und seine Gruppe anhand von hunderten von Planktonproben aus allen Weltmeeren die sogenannten Metatranskriptome von Bakterien und Archaeen. Die Proben stammten von Expeditionen, welche die Tara Ocean Foundation in den Jahren 2009 bis 2013 mit dem Segelboot «Tara» rund um den Globus unternommen hatte.
Das Metatranskriptom umfasst alle Gentranskripte, also RNA-Moleküle, die aus dem Gemisch der verschiedenen planktonischen Bakterien und Archaeen isoliert werden konnten.
Die ETH-Forscher konnten dann die vorhandenen RNA-Moleküle mithilfe einer Datenbank einem Gen zuordnen. Die Datenbank wurde von Sunagawas Gruppe aufgebaut und enthält 47 Millionen Einträge zu Genen von geschätzt über 40'000 verschiedenen Mikrobenarten, die im Plankton weltweit bisher gefunden wurden.
Die Forschenden massen auch, wie oft ein RNA-Molekül in einer Probe vorlag. Die Zahl der RNA-Moleküle ist ein Hinweis darauf, wie aktiv ein Gen zur Zeit der Probennahme war. Daraus können die Forscher beispielsweise Rückschlüsse auf gewisse Stoffwechselprozesse und Anpassungsleistungen der Mikroben an die jeweiligen Standorte ziehen.
Vielfalt um den Äquator am höchsten
So zeigen diese Analysen, dass planktonische Mikrobengemeinschaften in warmen Gewässern artenreicher sind und über einen grossen Genpool verfügen. Aus diesem Grund sind Mikroben aus warmen Meeren «flexibler»: Sie können als Gemeinschaft im Bedarfsfall verschiedene Gene aus- oder einschalten und so ihren Stoffwechsel rascher und situationsgerecht an höhere Wassertemperaturen anpassen.
Mikrobengemeinschaften in den kälteren Polarmeeren nördlich respektive südlich des 60. Breitengrads sind hingegen artenärmer und genetisch weniger divers. Das macht es für diese Gemeinschaften auch schwieriger, sich an höhere Wassertemperaturen anzupassen. «Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sie stärker auf ihre spezifische Nische spezialisiert sein könnten. Dadurch weisen sie möglicherweise eine geringere Kapazität auf, ihre Stoffwechselprozesse auf wärmere Wassertemperaturen, wie sie im Zug des Klimawandels auch in polaren Gewässern auftreten werden, einzustellen», sagt Sunagawa. Aus diesem Grund könnten Mikroben aus kalten Meeren eines Tages von der Konkurrenz aus wärmeren Ozeanen verdrängt werden.
Treibender Faktor Temperatur
Darauf weist auch eine zweite Publikation hin, die ebenfalls heute in «Cell» erschienen ist und von der Sunagawa und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Guillem Salazar Mitautoren sind. In dieser Studie untersuchten Forscherinnen und Forscher um Lucie Zinger und Chris Bowler vom CNRS und ENS, Paris, die weltweite Verbreitung und Verteilung von verschiedenen wichtigen Artengruppen des Planktons einschliesslich Viren, einzellige Eukaryoten und tierisches Material.
Sie zeigen auf, dass Plankton, obwohl es in einem zusammenhängenden Ökosystem lebt, ungleich verteilt ist. Die höchste Artenvielfalt ist in nicht-polaren Meeren anzutreffen, zu den Polen hin nimmt die Vielfalt hingegen ab.
Diese Abnahme deckt sich mit abrupten Änderungen der chemischen und physikalischen Bedingungen im Oberflächenwasser. So variieren auch die Zusammensetzung und Mengen der Mikrobengemeinschaften dieser drei Bereiche. «Auch hier ist die Temperatur der entscheidende Faktor, der die Artenvielfalt der Planktongemeinschaften steuert», sagt Zinger. Nördliche Meere sind wichtige Fischgründe. Diese basieren auf dem heutigen Stand des Planktons, welches die Grundlage aller marinen Nahrungsketten ist. Ändert sich die Zusammensetzung des Planktons, könnten sich auch die Nahrungsgrundlage für Fische und andere höhere Meeresbewohner aber auch für den Menschen massiv verändern.
Klimawandel verändert Zusammensetzung
Die Folgen der globalen Meerwassererwärmung, insbesondere in den polaren Regionen, für das gesamte Ökosystem sind derzeit nicht absehbar. Sunagawa aber denkt, dass sie eher negativ denn positiv sind, und betont dass die ökologischen Auswirkungen von weiteren temperaturabhängigen Faktoren, beispielsweise die Sauerstoffverarmung und Versauerung der Meere, besser verstanden werden müssen. Als Forscher datenintensiver Analysen befürwortet er daher Projekte, die auf eine langfristige und interdisziplinäre Beobachtung der Weltmeere ausgelegt sind.
Die Studien des Forschungskonsortiums basieren auf mehreren Expeditionen, welche die französische Tara Ocean Fondation zwischen 2009 und 2013 durchführte. Daran beteiligt waren über 120 Forscherinnen und Forscher, die entlang verschiedener Transsekte über alle Weltmeere an 210 Stellen Plankton aus dem Oberflächenwasser und aus bis zu 1000 Meter Tiefe entnahmen. Ziel der Expeditionen war es, planktonische Ökosysteme im Kontext des Klimawandels zu untersuchen.
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (idw)