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Tiefseemuscheln mit hochgiftigen Untermietern

Archivmeldung vom 23.09.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.09.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Bathymodiolus-Muscheln an der Menez Gwen-Hydrothermalquelle vor der Küste der Azoren, aufgenommen. Bild: MARUM, University of Bremen/Germany. (idw)
Bathymodiolus-Muscheln an der Menez Gwen-Hydrothermalquelle vor der Küste der Azoren, aufgenommen. Bild: MARUM, University of Bremen/Germany. (idw)

Bakterien, die als symbiontische Mitbewohner von Muscheln an heißen Tiefseequellen leben, verfügen über ein ganzes Arsenal von Giftstoffen – mehr, als jeder bekannte Krankheitserreger. Über diese Entdeckung, und warum das Gift den Muscheln eher hilft als schadet, berichten Forscher vom MPI Bremen in der Zeitschrift eLife.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Untermieter. Er befüllt Ihnen regelmäßig den Kühlschrank. Aber nebenbei produziert er auch noch allerlei Gift. Mehr Schaden als Nutzen? Nicht unbedingt. Es kommt ganz darauf an, wozu Sie das Gift benutzen.

Heiße Tiefseequellen sind Lebensräume mit dem gewissen Etwas: Auf den ersten Blick wirken sie recht ungemütlich, sind aber tatsächlich wahre Oasen des Lebens. Und auch ihre Bewohner sind stets für Überraschungen gut. Wie giftige Untermieter zu Wohltätern werden, berichtet nun in der open-access Fachzeitschrift eLife eine internationale Forschergruppe um Jillian Petersen vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.

Muscheln der Gattung Bathymodiolus gehören zur Familie der Miesmuscheln und leben häufig an heißen Quellen in der Tiefsee. In ihren Kiemen züchten die Muscheln so genannte chemoautotrophe Symbionten. Das sind beispielsweise Schwefelbakterien, die für die Muscheln nicht nutzbare Stoffe aus den heißen Quellen in schmackhaften Zucker umwandeln.

Jillian Petersen und ihre Kollegen haben nun das Erbmaterial einiger Untermieter der Tiefseemuscheln unter die Lupe genommen. Wider Erwarten stießen sie dabei auf allerlei Gefahrstoffe. Denn die symbiontischen Bakterien besitzen ein ganzes Arsenal an Genen, die der Herstellung von Giftstoffen (Toxinen) dienen. Die Zahl der Toxine ist beeindruckend: Mit bis zu 60 Giften ist die Waffenkammer der Mikroorganismen besser gefüllt als die von hochgefährlichen Keimen wie beispielsweise dem Pest- oder dem Cholera-Erreger. Dennoch scheinen die Bakterien ihren Gastgebern nicht zu schaden. Wie kann das sein?

“Wir vermuten, dass die Bakterien diese Toxine gezähmt haben”, erklärt Petersen. “Dadurch können sie sie nun zu ihrem Vorteil nutzen – und zum Vorteil ihres Gastgebers.” Zweierlei positiver Nutzen der Giftstoffe ist dabei denkbar: Einerseits können sie Bakterien und Muscheln dabei helfen, ihre jeweiligen Partner zu erkennen und zu finden, um so überhaupt erst eine erfolgreiche Symbiose eingehen zu können. Andererseits dienen die Toxine vermutlich auch dazu, Fressfeinde von den Muscheln abzuhalten.

“Bisher bekannte Symbiosen haben meist nur einen Nutzen – entweder helfen die Symbionten ihren Wirten bei der Ernährung oder bei der Verteidigung gegen Fressfeinde. Die Partnerschaft von Bathymodiolus mit den Schwefelbakterien, die wir nun untersucht haben, liefert möglicherweise beides: Schutz und Nahrung. Das ist schon recht außergewöhnlich”, betont Lizbeth Sayavedra, die die Untersuchung zusammen mit Jillian Petersen im Zuge ihrer Doktorarbeit durchgeführt hat. Der Untermieter füllt also nicht nur den Kühlschrank, er bewacht auch noch die Wohnung.

In einem nächsten Schritt will Petersen nun erforschen, wie der Schutz durch die Bakterientoxine im Detail funktioniert. Für einen der Giftstoffe konnte bisher nachgewiesen werden, dass er tatsächlich im Gewebe der Muschel freigesetzt wird. “Unsere Ergebnisse geben der Forschung über die Rolle von Parasiten und Pathogenen in der Tiefsee ganz neue Impulse”, so Petersen, die seit Kurzem eine Nachwuchsgruppe an der Universität Wien leitet.

“Wir kennen bis heute keinen Krankheitserreger, der so viele vermeintlich schädliche Substanzen produziert”, fügt Liz Sayavedra hinzu. “Wer weiß – vielleicht stellen wir eines Tages fest, dass manche Gene, die heute als Giftproduzenten gelten, ursprünglich eine ganz förderliche Rolle in einer solchen Partnerschaft spielten.”

Quelle: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie (idw)

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