Unsichtbare Arten: Bedrohte Arten sind in Verbreitungsmodellen unterrepräsentiert
Archivmeldung vom 09.12.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtAufgrund begrenzter Ressourcen müssen beim Naturschutz räumliche Prioritäten gesetzt werden. Deshalb werden auch für die Planung von Schutzgebieten Verbreitungsmodelle von Arten herangezogen. Diese Verbreitungsmodelle sind jedoch nur bedingt geeignet, um bedrohte Arten zu schützen, denn aufgrund geringer Daten zum Vorkommen werden gerade sie oft nicht eingerechnet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie unter Mitwirkung von Dr. Christian Hof, LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, die als Titelgeschichte in der Novemberausgabe des Fachmagazins „Diversity and Distributions“ erschienen ist.
Ein Großteil der bedrohten Arten wird bei modernen Methoden, die die künftige Verbreitung von Arten beispielsweise unter Klimawandelbedingungen modellieren, nicht berücksichtigt. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Universitäten von York und Kopenhagen, des United Nations Environment Programme World Conservation Monitoring Centre, des LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) sowie weiteren Partnern.
Mehr als die Hälfte der bedrohten Amphibienarten „fällt durchs Raster“
Die Forschenden stützen ihre Schlussfolgerung auf die beispielhafte Analyse 733 afrikanischer Amphibienarten. Klimawandel, die Zerstörung ihrer Lebensräume und Krankheiten lassen einen massiven Rückgang dieser Arten befürchten. Das Vorkommen von Arten der tropischen Biodiversitäts-Hotspots ist oft nur wenig dokumentiert, sie haben im Vergleich zu Arten aus gemäßigten Breiten häufig kleinere Verbreitungsgebiete. Viele der untersuchten Amphibienarten stehen auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation International Union for Conservation of Nature (IUCN), unter anderem wegen der begrenzten Lebensräume.
„Doch genau da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn das seltene Vorkommen dieser Arten, das ihren Bedrohungsstatus erhöht, lässt sie gleichzeitig in den Verbreitungsmodellen unsichtbar werden, die oft Entscheidungsgrundlagen für den Naturschutz darstellen. Unsere Untersuchung hat ergeben, dass für 400 der untersuchten Amphibienarten, also mehr als die Hälfte, aufgrund ihrer geringen Verbreitung so wenige Daten vorliegen, dass sie aus statistischen Gründen in Verbreitungsmodellen nicht berücksichtigt werden können. 92 % davon stehen auf der Roten Liste der IUCN“, so Dr. Christian Hof, Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F). Mithilfe dieser Verbreitungsmodelle wird jedoch die potentielle künftige Verbreitung der Arten berechnet.
Schutzwürdige Regionen werden unterschätzt
Welchen Unterschied macht es nun – heute und in Zukunft – wenn bedrohte Arten in den Modellen nicht berücksichtigt werden können? Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf den Naturschutz, wo aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen oft Schwerpunktgebiete ausgewählt werden müssen. Mit Modellprojektionen ohne die Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet, werden für den Naturschutz wichtige Regionen in ihrer Schutzwürdigkeit herabgesetzt. „Dabei ist unter Klimawandelaspekten der Fortbestand sowohl kleinräumig als auch weit verbreiteter Arten in denjenigen Gebieten am wahrscheinlichsten, die tatsächlich bereits als Gebiete von besonderer Schutzwürdigkeit identifiziert wurden“, erklärt Hof.
Hintergrund ist die Tatsache, dass die in den Verbreitungsmodellen ‚unsichtbaren‘ Arten vornehmlich in tropischen Bergregionen leben. Diese Gebiete zeichnen sich durch eine hohe klimatische Stabilität aus und werden, auch durch ihre Vielfalt kleinräumig strukturierter Lebensräume, aller Voraussicht nach auch in Zukunft für viele Arten ein Refugium bleiben.
Verbreitungsmodelle haben Verbesserungspotential
Eine Voraussetzung für die Verlässlichkeit von Verbreitungsmodellen ist, dass für die Kalibrierung der Modelle genug Verbreitungsdaten einzelner Arten vorliegen. Damit ein Verbreitungsmodell möglichst valide ist, sollten die Modelle auf Basis genügender quantitativer Daten zur Verbreitung von Arten kalibriert werden. Dies ist bei den meisten bedrohten Arten nicht der Fall; Abhilfe könnte hier vor allem das Sammeln von mehr Fundortdaten schaffen, oder auch eine höhere räumliche Auflösung der Modelle. Denn eines ist sicher: „Effektiver Naturschutz muss alle Arten berücksichtigen – nicht nur diejenigen, von denen viele Fundortdaten vorliegen“, resümiert Hof.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (idw)