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Algenblüten in der Nordsee

Archivmeldung vom 04.05.2012

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.05.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Die Algenblüte in der Deutschen Bucht breitet sich vor der ost- und westfriesischen Küste aus.
Quelle: NASA images courtesy Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center (idw)
Die Algenblüte in der Deutschen Bucht breitet sich vor der ost- und westfriesischen Küste aus. Quelle: NASA images courtesy Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, Goddard Space Flight Center (idw)

Algenblüten, damit verbinden die meisten Menschen eine Beeinträchtigung sommerlicher Badefreuden. In der Küstenzone gemäßigter Breiten wie der deutschen Bucht ist eine Frühjahrsalgenblüte jedoch kein Anzeichen übermäßigen Nährstoffeintrags, sondern vor allem Folge der intensiveren Sonneneinstrahlung im Frühjahr. Frühjahrsalgenblüten sind in diesen Gewässern also ganz natürlich. Wenn Algenblüten enden, sterben die Algen ab, und ihre Überreste bilden eine wichtige Nährstoffzufuhr für das gesamte Ökosystem. Dieser Prozess ist z.B. maßgeblich für den Fischreichtum vor Küsten. Was aber geschieht genau, wenn eine Algenblüte endet?

Schema zum Verlauf der Algen-Bakterieninteraktion im Frühjahr 2009. Nur knapp zwei Monate dauert es, bis eine Algenblüte entsteht und durch die darauffolgende Bakterioplanktonblüte vollständig abgebaut wird.
Quelle: H. Teeling/R. Dunker, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (idw)
Schema zum Verlauf der Algen-Bakterieninteraktion im Frühjahr 2009. Nur knapp zwei Monate dauert es, bis eine Algenblüte entsteht und durch die darauffolgende Bakterioplanktonblüte vollständig abgebaut wird. Quelle: H. Teeling/R. Dunker, Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie (idw)

Eine überraschende und sehr detaillierte Antwort liefern jetzt Hanno Teeling und Bernhard Fuchs mit ihren Kollegen vom Max-Planck-Institut in Bremen sowie der Universität Greifswald, der Jacobs University und dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Sie haben eine Frühjahrsblüte in der Nordsee genau untersucht, und konnten identifizieren, welche Mikroorganismen beim Abbau der Algenüberreste eine Rolle spielen. Dabei haben sie entdeckt, dass einige Abbauprozesse vermutlich anders ablaufen als bisher angenommen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Wissenschaftsmagazin Science.

Für ihre Analysen filtrierten die Wissenschaftler über fast ein Jahr regelmäßig mehrere hundert Liter Wasser von der Station „Kabeltonne“, einer Langzeitstation der Biologischen Anstalt Helgoland, die zum Alfred-Wegener-Insitut gehört. Hanno Teeling vom Max-Planck-Institut sagt: „Freilebende Kleinstlebewesen, das sogenannte Bakterioplankton, sind entscheidend beim Abbau der abgestorbenen Algenbiomasse. Uns fiel besonders eine dynamische Folge in der Bakterioplankton-Population auf. Spezialisierten Bakterienpopulationen begleiten verschiedene Phasen der Algenblüte“. Wie die Forscher jetzt zeigen konnten, steuern Prozesse innerhalb der Bakterienpopulation den Abbau der Algen.

Sein Kollege Bernhard Fuchs, der am Max-Planck-Institut seit vielen Jahren die Diversität und die Zusammensetzung von Bakterioplankton erforscht, ergänzt: „Zum ersten Mal haben wir eine zeitlich hochauflösende Analyse der mikrobiellen Gemeinschaft auf Gattungsebene durchgeführt. Nicht nur die Bakteriengruppen, sondern auch deren Werkzeuge, die Enzyme, die am Abbau der Algenblüte beteiligt sind, konnten wir jetzt identifizieren“. Neu war auch die Kombination der Technologien, die die Forscher für ihre Analysen angewandt haben. Die Identität der Mikroorganismen haben sie mit CARD-FISH, einer in situ-Technologie, die direkt auf Umweltproben angewandt werden kann, festgestellt. Zusätzlich haben sie während und nach der Algenblüte die Zusammensetzung der Bakterienpopulation untersucht, indem sie kurze Abschnitte eines stammesgeschichtlichen Markergens verglichen (16S rRNA-Pyrotag-Analysen). „Durch eine Kombination von Metagenom- und Metaproteom-Analysen gelang es uns, aktive Schlüsselenzyme in den komplexen Umweltproben nachzuweisen. Damit können wir Rückschlüsse von der metabolischen Funktion auf die Aufgabe der einzelnen Bakteriengruppen ziehen“, erklärt Thomas Schweder von der Universität Greifswald. "Dies war nur über eine Integration aller Daten möglich. Das haben wir mit bioinformatischen Methoden gelöst", so Frank Oliver Glöckner vom Max-Planck-Institut und von der Jacobs University. In der frühen Phase der Algenblüte fanden die Wissenschaftler vermehrt Enzyme zum Abbau komplexer Algen-Kohlenhydrate wie Laminarin. Später dominierten Transportproteine für Peptide, also kurze Proteinstücke, sowie Transporter für den wachstumsbegrenzenden Nährstoff Phosphat. Auffällig war der hohe Anteil bestimmter Transportproteine, der sogenannten TonB-abhängigen Transporter, die größere Moleküle direkt ins Zellinnere transportieren können. Diese Entdeckung könnte die herkömmliche Annahme widerlegen, dass längerkettige Moleküle vor der Aufnahme in die Zelle in Einzelbausteine zerlegt werden müssen. Die TonB-Transporter erlauben so möglicherweise den Flavobakterien, eine der dominierenden Bakteriengruppen, die Aufnahme und den Abbau von längeren Kohlenhydratketten zu koppeln und dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Bakteriengruppen zu erlangen. Am Ende der Blüte bildeten die Bakterien Sulfatasen, die Sulfatester aus schwer abbaubaren Algen-Kohlehydraten abspalten und so ihren kompletten Abbau ermöglichen. Die Wissenschaftler fanden in der Algenblüte also eine Bakterienpopulation vor, die sich nicht nur in der Zusammensetzung, sondern auch in der Funktion vollständig von der Bakteriengemeinschaft kristallklarer küstenferner Gewässer unterscheidet.

Die Ergebnisse der Studie weisen den Forschern den Weg, das sogenannte Plankton-Paradox zu erklären: Wie können so viele Plankton-Arten in einem scheinbar homogenen Umfeld leben, ohne dass diese so stark miteinander in Konkurrenz um die Nährstoffe treten, dass bestimmte Arten verdrängt werden? Rudolf Amann, Direktor des Max-Planck-Instituts in Bremen erklärt: „Auf der Ebene der Mikroorganismen ist das Geheimnis die Heterogenität der Mikronischen, die die unterschiedlichen Gruppen besiedeln. Dadurch ergänzen sich die spezialisierten Populationen optimal beim Abbau des organischen Materials.“

Quelle: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie (idw)

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