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Wie Shangri-Las entstehen

Archivmeldung vom 25.04.2015

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.04.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Kein Relikt ehemaliger Tiefländer: Dieses liebliche Hochtal auf über 3000 m ü.M. dürfte sich an Ort
Quelle: Giuditta Fellin / ETH Zürich (idw)
Kein Relikt ehemaliger Tiefländer: Dieses liebliche Hochtal auf über 3000 m ü.M. dürfte sich an Ort Quelle: Giuditta Fellin / ETH Zürich (idw)

Mit einer neuen Simulation verkürzen Geologen die Jahrmillionen dauernde Erdgeschichte massiv. Damit stellen sie bisherige Erklärungsansätze für die Entstehung von Hochtälern im südöstlichsten Zipfel des tibetischen Hochlandes auf den Kopf.

Der südöstlichste Teil des tibetischen Hochlandes ist eine aussergewöhnliche Gebirgslandschaft. So reichen hohe Gipfel schroff und steil auf über 7000 Meter Höhe. Grosse Flüsse, darunter Jangtse, Mekong und Saluen, haben sich tief ins Grundgestein eingefressen. Doch daneben liegen eingebettet zwischen Bergkämmen fast schon liebliche Hochtäler mit sanften Hügeln, grossen Seen und mäandrierenden Flüssen. Diese Landschaften inspirierten James Hilton zu seinem geheimnisvollen Shangri-La, einem paradiesischen und friedvollen Ort, den er mit seinem Roman «Lost Horizons» in den Köpfen der westlichen Welt verankerte.

Etwas weniger romantisch betrachten Erdwissenschaftler die Region. Für sie ist diese vor allem geologisch äusserst interessant und sie möchten herausfinden, wie Hochtäler von der Ausprägung von Shangri-La entstanden sind.

Hebung von Flachland fraglich

Bisher ging man davon aus, dass diese Hochtäler Reliktlandschaften sind, entstanden in den Tiefebenen, die dem Himalaja buchstäblich zu Füssen liegen. Erst die Kollision der indischen mit der asiatischen Platte und die damit einhergehende Anhebung des tibetischen Plateaus sorgte dafür, dass Teile des Flachlandes angehoben wurden und auf ihr heutiges Niveau zwischen 2000 und 5000 Meter über Meer zu liegen kamen. Dort soll ihre landschaftliche Charakteristik erhalten geblieben sein.

Geologinnen und Geologen der ETH Zürich haben nun mithilfe eines neuen Modells die Bildung dieser Hochtäler auf dem Computer simuliert; die Simulationen sind eine Art Zeitraffer, um die geologischen Vorgänge der letzten 50 Millionen Jahre nachzuvollziehen. Damit kommen sie zu einer ganz anderen Schlussfolgerung, wie sie in einer soeben in der Fachzeitschrift «Nature» vorgestellten Studie aufzeigen.

Verwerfungen unterbrechen Gewässernetz

In ihrer Simulation konnten sie nämlich das Anheben der Tieflandes ins Hochland nicht nachzeichnen. Sie zeigten hingegen auf, dass die sanften Hochtäler an Ort und Stelle – in situ – entstanden sein müssen, und zwar aufgrund von Unterbrechungen von Teilen des Fliessgewässernetzes wegen tektonischen Bewegungen.

In dieser Simulation (und abgeleitet davon auch in der Realität) stösst im Gebiet der heutigen Provinz Yunnan die nordöstlichste Ecke der indischen Platte gegen die asiatische und «dellt» den östlichen Teil des Himalajas und des tibetischen Plateaus stark ein. Dadurch entstehen starke Spannungen, die von zahlreichen Erdbeben begleitet werden. Diese deformieren die Erdoberfläche entlang von Verwerfungen, welche die Landschaft «zerschneiden».

Diese Deformationen der Oberfläche zwingen Flussläufe in andere Betten oder unterbrechen gar Wasserläufe, sodass Flüsse einen Teil ihres Einzugsgebietes verlieren. Fällt beispielsweise ein Zufluss weg, führt der bisherige Fluss weniger Wasser. Dadurch verkleinert sich die Erosions- und Sedimenttransportkapazität entlang seiner Strecke; dies verringert seinerseits die Steilheit der Flussufer. Aber auch an den angrenzenden Hängen wird die Abtragung langsamer, da der Fluss weniger aggressiv an ihnen «nagt» und sie weniger schnell untergräbt. Dadurch werden Hänge weniger steil, Rutschungen werden seltener. Auf diese Weise bilden sich über Jahrmillionen inmitten des Gebirges Landschaften, die denen in den Tallagen ähneln. Für den Mitautor der Studie, ETH-Professor Sean Willett, ist der Fall klar: «Unsere Simulationen zeigen eindeutig, dass sich diese Hochtäler vor Ort entwickelt haben mussten und nicht Relikte ehemaliger Tiefländer sind.»

Dass Gletscher die sanften Formen schufen, schliesst Willett aus. Die Vergletscherung in der Studienregion habe sich auf die höchsten Gipfelregionen beschränkt. Möglicherweise habe sie mitgeholfen, hohe Berge und ausgedehnte Hänge zu erodieren. Für die Bildung der Täler seien aber ausschliesslich Flüsse verantwortlich.

Engadin wie Shangri-La?

Die Resultate der Studie treffen nicht nur für den östlichen Himalaja zu, sondern auch für andere Gebirge. Als Beispiel für die Schweizer Alpen nennt der ETH-Professor das Engadin. Der Talboden liege auf grosser Meereshöhe, sei aber flacher als man es von einem reinen Gletschertal erwarten würde. Vieles spreche dafür, dass sich das Engadiner Hochtal genauso wie die Hochtäler des südöstlichen tibetischen Hochlandes vor Ort auf dieser Höhenlage gebildet haben könnte. «Der Malojapass ist kein richtiger Pass, da er auf der Engadiner Seite keine Gegensteigung aufweist», gibt Willett zu bedenken. «Es sieht so aus, als ob der Talanfang abgeschnitten wurde.»

Ob das Engadin und andere alpine Hochtäler tatsächlich dem aktuellen Modell der Erdwissenschaftler entspricht, klären diese mit einer kommenden Studie ab.

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) (idw)

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