Erst fruchtbar, dann furchtbar: Fluch und Segen hoher Reproduktionsraten bei Ammoniten
Archivmeldung vom 25.05.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtIn einer neuen Studie wiesen die Paläontologen der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Museum für Naturkunde Berlin und dem Natural History Museum in New York nach, dass die frühesten Ammonoideen deutlich größere Embryonalgehäuse hatten als deren Nachfahren. Dies belegt eine frühe evolutionäre Veränderung in der Reproduktionsstrategie in Richtung einer Zunahme von Nachkommen. Denkbar ist, dass es gerade diese Reproduktionsstrategie war, die zum letztendlichen Aussterben der Ammonoideen am Ende der Kreidezeit beigetragen hat.
Die Ammonoideen stellen eine Gruppe ausgestorbener Kopffüßer („Tintenfische“) dar, die einen wichtigen Teil mariner Ökosysteme über 300 Millionen Jahre hinweg bildeten. Sie haben drei der fünf größten Massenaussterben überlebt. Die meisten Ammonoideen hatten normalerweise Eier und Schlüpfling-Größen von 0.5 bis 1.5 mm. Es kann daher angenommen werden, dass Ammonoideen hohe Reproduktionsraten hatten. Hohe Nachkommenszahlen sowie eine hohe Sterblichkeit von jugendlichen Exemplaren werden durch häufige Massenvorkommen embryonaler Schalen belegt.
Kennzeichnend für das Devon (vor 415 bis 360 Millionen Jahren) ist die rapide Ausbreitung aktiv schwimmender Organismen, die sogenannte Devonische Nekton-Revolution. In diese Zeit fällt die Bildung von spiral aufgerollten Gehäusen von Ammonoideen und anderer Mollusken. Die zunehmende Spiralaufrollung wurde in mindestens drei evolutionären Linien innerhalb der Ammonoideen nachgewiesen. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass es einen in eine bestimmte Richtung operierenden Selektionsdruck gab, der die Entstehung der aufgerollten Gehäuse bevorzugte. Parallel zur Reduktion der Schlüpflingsgröße nahm zumindest in manchen Evolutionslinien der Ammonoideen die Gehäusegröße der erwachsenen Tiere deutlich zu. Dies werten die Paläontologen aus Zürich, New York und Berlin als Indiz für fundamentale Änderungen in der Reproduktionsstrategie in Richtung erheblich höherer Zahlen von Nachkommen (bei großem Ammoniten weit mehr als 100 000). Diese Strategie könnte eine zentrale Rolle für den immensen evolutionären Erfolg der Ammonoideen und für ihre rasche Wiederausbreitung nach Massenaussterben gespielt haben.
Mit der hohen Anzahl von Nachkommen sind die Ammoniten über 300 Millionen Jahre erfolgreich gewesen und haben sich über verschiedene Umweltkrisen hinweggerettet. Sie waren
stets erheblich artenreicher als die Nautiliden, das sind Kopffüßer mit aufgerolltem Gehäuse, aber mit wenigen und dafür großen Jungtieren; zu ihnen gehört das heute lebende Perlboot (Nautilus). Es ist allerdings auch denkbar, dass es gerade diese Reproduktionsstrategie der Ammoniten mit zwar vielen, aber sehr kleinen Nachkommen war, die zum letztendlichen Aussterben am Ende der Kreidezeit beigetragen hat, während die Nautiliden mit ihren wenigen, aber großen Nachkommen diese Krise überstanden haben. Andererseits könnten gerade die niedrigen Reproduktionsraten dem Nautilus heute, in einer Zeit der intensiven Bejagung durch den Menschen, zur Bedrohung werden.
Quelle: Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (idw)