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Pestizide in der Luft: Neue bundesweite Studie belegt massive Verbreitung von Ackergiften in ganz Deutschland weit abseits von Äckern

Archivmeldung vom 29.09.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.09.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Neonikotinoide und andere Pest-izide werden in der Agro-Landwirtschaft (=Agressive Landwirtschaft) verwendet. Grenzwerte wurden in 2017 um teils über NEUNTAUSEND Prozent erhöht (Symbolbild)
Neonikotinoide und andere Pest-izide werden in der Agro-Landwirtschaft (=Agressive Landwirtschaft) verwendet. Grenzwerte wurden in 2017 um teils über NEUNTAUSEND Prozent erhöht (Symbolbild)

Bild: Eigenes Werk /OTT

Viele giftige Pestizide und ihre Abbauprodukte verbreiten sich in erschreckendem Ausmaß über die Luft bis in Städte und Nationalparks hinein. Die Risiken für Gesundheit und Artenvielfalt sind unabsehbar.

Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München fordern ein Sofortverbot von fünf Pestiziden, den Ausstieg aus dem Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis zum Jahr 2035 und die Entschädigung von Bio-LandwirtInnen.

Pestizide verbreiten sich in ganz Deutschland kilometerweit durch die Luft. Dies belegt die bislang umfassendste bundesweit durchgeführte Studie zur Pestizid-Belastung der Luft, die das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München in Auftrag gegeben haben. Die Ergebnisse der Messungen an insgesamt 163 Standorten in ganz Deutschland zwischen 2014 und 2019 wurden heute in Berlin veröffentlicht. WissenschaftlerInnen des Forschungsbüros "TIEM Integrierte Umweltüberwachung" konnten unter anderem das von der Weltgesundheitsorganisation als "wahrscheinlich krebserregend" eingestufte Glyphosat in allen Regionen Deutschlands und weit abseits von potentiellen Ursprungs-Äckern nachweisen. An rund drei Viertel aller untersuchten Standorte wurden jeweils mindestens fünf und bis zu 34 Pestizidwirkstoffe sowie deren Abbauprodukte gefunden. Selbst auf der Spitze des Brockens im Nationalpark Harz waren zwölf Pestizide nachweisbar. Insgesamt fanden sich deutschlandweit 138 Stoffe, von denen 30 Prozent zum jeweiligen Messzeitpunkt nicht mehr oder noch nie zugelassen waren.

Karl Bär, Agrarexperte im Umweltinstitut München: "Die Ergebnisse unserer Studie sind schockierend. Glyphosat und andere Ackergifte verteilen sich als wahrer Pestizid-Cocktail bis in die hintersten Winkel Deutschlands. Pestizide landen in schützenswerten Naturräumen, auf Bio-Äckern und in unserer Atemluft. Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend zu handeln und Mensch und Natur besser zu schützen. Die Ackergifte, die sich am meisten verbreiten - Glyphosat, Pendimethalin, Prosulfocarb, Terbuthylazin und Metolachlor -, müssen sofort verboten werden." Diese fünf Wirkstoffe konnten bei den Messungen am häufigsten und weit entfernt von potentiellen Quellen nachgewiesen werden. Bär kritisiert, dass der sogenannte Ferntransport von Pestizidwirkstoffen bislang im europäischen Pestizid-Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Boris Frank, Vorsitzender vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft: "Immer wieder werden biologisch bewirtschaftete Äcker durch Ackergifte kontaminiert, ganze Ernten gehen so verloren. Unsere Studie liefert nun einen wesentlichen Grund dafür: Die Pestizide gelangen über die Luft auf Getreide, Obst und Gemüse, das von Bio-Bäuerinnen und -Bauern naturverträglich und ohne den Einsatz chemisch-synthetische Pestizide angebaut wurde. Bislang trägt die Biobranche die Kosten für die aufwendigen Kontrollen ihrer Produkte und für Ware, die nicht mehr als Bio verkauft werden kann, weitgehend selbst. Agrarministerin Julia Klöckner muss die Beeinträchtigung des Bio-Landbaus durch chemisch-synthetische Ackergifte stoppen." Solange Pestizide in großem Ausmaß angewendet werden, müssen Öko-Landwirte bei Kontaminationen ihrer Ernte über einen Schadensausgleichs-Fonds entschädigt werden, fordert Frank. Dieser muss durch zehn Prozent der jährlichen deutschen Umsatzerlöse der Pestizid-Hersteller gespeist werden.

Für die Studie "Pestizid-Belastung der Luft" wurden von März bis November 2019 über die gesamte Bundesrepublik Pestizide in der Luft gemessen. Untersucht wurden Standorte im Umkreis von weniger als 100 bis hin zu mehr als 1000 Metern Entfernung von potentiellen Quellen - in Städten und auf dem Land, in konventionellen und Bio-Agrarlandschaften sowie in unterschiedlichen Schutzgebieten. Die Daten wurden mit Hilfe von neu entwickelten technischen Passivsammelgeräten, aus Filtermatten in Be- und Entlüftungsanlagen von Gebäuden sowie durch die Analyse von Bienenstöcken und Baumrinden erhoben. Unterstützt wurde die Studie von LandwirtInnen, ImkerInnen und interessierten Privatpersonen. Sie stellten die Pestizidsammler nach Anleitung der WissenschaftlerInnen auf und sandten die Proben zur Auswertung ins Labor. In die Gesamtstudie flossen zudem Ergebnisse einer Untersuchung ein, bei der zwischen 2014 und 2019 Baumrinden auf Pestizide geprüft wurden.

Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München stellen sich hinter die Forderung der Europäischen Bürgerinitiative "Bienen und Bauern retten!", bis zum Jahr 2035 in der EU schrittweise alle chemisch-synthetischen Pestizide zu verbieten. Im europäischen Pestizid-Zulassungsverfahren muss bis dahin der Ferntransport und die Kombinationswirkung unterschiedlicher Wirkstoffe stärker berücksichtigt werden. Die Initiatoren der Studie begrüßen die Initiative des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), ein jährliches Monitoring über die Verbreitung von Pestiziden in der Luft durchführen zu lassen. Allerdings muss sichergestellt werden, dass das Monitoring regelmäßig, flächendeckend und umfassend für alle Pestizidwirkstoffe - also auch für nicht zugelassene - durchgeführt wird.

Quelle: Umweltinstitut München e.V. (ots)

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