Deutsche Meeresschutzgebiete ohne Schutz
Archivmeldung vom 08.04.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.04.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie deutschen Meeresschutzgebiete sind auch fünf Jahre nach ihrer Ausweisung weitgehend schutzlos. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des WWF. Demnach existieren Schutzregeln für die zehn deutschen Meeresschutzgebiete vom Borkumriff in der Nordsee bis zur Pommerschen Bucht in der Ostsee lediglich auf dem Papier. Der Abbau von Sand- und Kies, Störungen durch Schifffahrt und Offshore-Industrie und vor allem die Fischerei finden nach wie vor ungehindert statt und belasten die Ökosysteme.
Deutschland hat vor fünf Jahren mehr als 30% seiner Meeresgewässer in Nord- und Ostsee als Schutzgebiete ausgewiesen. Konkrete Regelungen für die Fischerei in diesen Gebieten werden seitdem ausgearbeitet.
„Schleppnetze und Baumkurren durchpflügen den Meeresboden, Meeressäugetiere und Seevögel ertrinken als Beifang in Stellnetzen, und die Gammelfischerei entnimmt aus der Nahrungskette große Mengen an Kleinfischen“, verdeutlicht Stephan Lutter, Meeresschutzexperte beim WWF. „Das ist, als würden wir es an Land zulassen, wenn ein unter Naturschutz stehendes Moor- oder Waldstück von einem Bulldozer durchpflügt, und sein Bestand an Tieren und Pflanzen geschädigt und gestört wird."
Hauptverantwortlich für die schlechten Zustände in den Meeresschutzgebieten ist vor allem, dass Regeln für ein umweltgerechtes Fischereimanagement fehlen. Bereits 2009 legte der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) dem Bundesamt für Naturschutz seine Vorschläge für ein umweltgerechtes Fischereimanagement in den Schutzgebieten in Nord- und Ostsee vor, gefolgt von einem Fachsymposium. Seitdem beraten Naturschutz- und Fischereibehörde des Bundes darüber, welche Einschränkungen und Umstellungen in der Fischerei dort anzustreben sind. Diese müssen dann bei der EU-Kommission beantragt werden.
"Es ist höchste Zeit, dass Ministerin Aigner ein solches Maßnahmenpaket in Brüssel vorstellt und der Rat der Fischereiminister darüber befindet. Deutschland ist mit gutem Beispiel bei der Ausweisung mariner Natura 2000-Gebiete vorangegangen, jetzt müssen auch zeitnah vorbildliche Schutzmaßnahmen folgen" fordert Lutter.
Die WWF-Studie legt detaillierte Anforderungen an ein ökosystemgerechtes Fischereimanagement in den deutschen Meeresschutzgebieten vor. Kernforderung des WWF ist, dass 50% der Schutzgebietsfläche fischereifrei bleiben, damit sich das Ökosystem erholen kann.
„Im übrigen Gebiet müssen ökologisch bedenkliche Fischereitechniken aus bestimmten Zonen oder Zeitfenstern verbannt oder binnen weniger Jahre durch weniger schädliche ersetzt werden“, fordert Lutter weiter. “Unsere Meeresschutzgebiete sind die Perlen von Nord- und Ostsee. Sie haben es verdient, dass der höchste Umweltstandard und die beste verfügbare Praxis angewandt werden." Die WWF Studie schlägt dazu u.a. den Einsatz leichterer und selektiverer Netze und den Ersatz von Stellnetzen durch Langleinen und Fallen vor.
Der WWF verweist zudem auf die politische Tragweite des Vorgangs. Der deutsche Antrag bei der EU-Kommission sei ein Testfall für die Glaubwürdigkeit der Gemeinsamen Fischereipolitik. Andere Mitgliedsstaaten müssten für ihre marinen Schutzgebiete dem gleichen Prozedere folgen, wollten sie nicht europäisches Naturschutzrecht verletzen. "Sollten für die Schutzgebiete eines EU-Mitglieds notwendige Schutzmaßnahmen durch andere Fischereinationen in Rat oder Parlament mehrheitlich blockiert werden, muss das System der Zuständigkeiten und Entscheidungswege neu überdacht werden" so Lutter weiter.
Quelle: WWF