Feuerball aus der Pfütze
Archivmeldung vom 12.08.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakHat ein Berliner Plasmaphysiker das Geheimnis der sagenhaften Kugelblitze gelüftet? Wie er in Laborexperimenten herausfand, entstehen die unheimlichen Gebilde womöglich aus einem Schluck Wasser - und sind kaum gefährlicher als ein Lampion.
uletzt hat der Unhold seine Spuren im niederösterreichischen Waldviertel hinterlassen und eine Garage auseinandergenommen. Tags zuvor war der Gefürchtete noch im württembergischen Bietigheim-Bissingen aufgekreuzt - dort rupfte er eine Kletterhortensie aus dem Boden und sprengte dabei einen Krater von einem Meter Durchmesser und 50 Zentimeter Tiefe ins Erdreich.
Gesehen hatte den Übeltäter bei seinem schändlichen Treiben mal wieder fast niemand. Allein ein sechsjähriger Bub fertigte eine sachdienliche Buntstiftzeichnung an.
Wenn seine Beschreibung zutrifft, wütete in der Ortschaft nahe Stuttgart Mitte Juli der Yeti unter den meteorologischen Erscheinungen: der Kugelblitz. Dabei sind die genannten Gemeinden noch glimpflich davongekommen. Die mitunter fußballgroßen Feuerkugeln marodieren nicht nur Material, sondern bringen angeblich auch Mensch und Tier mit willkürlicher Grausamkeit und binnen Augenblicken zur Strecke.
Der Legende nach durchdringen die tiefgelb schimmernden Bälle auch Fensterglas und schweben sekundenlang in gemächlichem Tempo durch die Luft, bevor sie mit lautem Knall explodieren. Zumindest erzählt man sich dergleichen.
Denn nur die wenigsten Menschen haben wirklich je einen Kugelblitz zu Gesicht bekommen. Viele Wissenschaftler halten die Mär von dessen Existenz denn auch für Mumpitz. Belegbar schien wenig.
Doch nun hat der Berliner Plasmaphysiker Gerd Fußmann die vermeintliche Schimäre offenbar zum Leben erweckt - im Labor, mit einem "spottbilligen Versuchsaufbau". Über zwei Elektroden jagte der Forscher der Humboldt-Universität für den Bruchteil einer Sekunde mehrere tausend Volt in einen Bottich mit Wasser. Daraufhin schoss ein Feuerball aus dem Behältnis empor, der aussah wie die Miniaturausgabe eines Atompilzes.
Kaum eine halbe Sekunde lang dauerte das Spektakel. Das Team um Fußmann war dennoch begeistert. Denn ähnlich wie im vergleichsweise simplen Versuchsaufbau könnten auf diese Weise womöglich auch in der Natur Kugelblitze entstehen: etwa durch Blitzeinschlag in eine Pfütze.
Bereits vor einigen Jahren gelang es japanischen Forschern, künstliche Kugelblitze zu erzeugen. Allerdings glückte den Asiaten dieses Kunststück nur mit Hilfe von Mikrowellen. Es sei "äußerst unwahrscheinlich, dass Kugelblitze in der Natur für mehrere Sekunden auf eine externe Energiequelle zurückgreifen können", spottet Fußmann über das wenig aussagekräftige Experiment der fernöstlichen Kollegen.
Nach der neuesten Theorie aus Berlin braucht es kaum mehr als den Inhalt eines Wasserglases, damit sich das rare Naturereignis vollzieht. Zu viel Flüssigkeit verhindert das Schauspiel eher. Dann verläppert die Energie des Blitzes, "und es regnet nur heißes Wasser", glaubt Fußmann.
Was der Professor inzwischen über seinen Untersuchungsgegenstand in Erfahrung gebracht hat, kann dessen Mythos gleichwohl ins Wanken bringen. Demnach besäße der gemeine Kugelblitz weniger den Furor eines Tigers als vielmehr die Possierlichkeit einer Hauskatze.
Gefährlich ist der Feuerball allenfalls eine Zehntelsekunde nach seinem Entstehen, wenn das Gebilde noch unter einer Spannung von etwa 300 Volt steht. Doch die verflacht rasch. Kurz darauf ist die funkenschlagende Brandblase nichts weiter als ein fliegender Lampion, der nach Beobachtung Fußmanns "nicht einmal ein Blatt Papier entzünden kann".
Diese Erkenntnis deckt sich durchaus mit historischen Berichten. So lösten auch in Scheunen gesichtete Kugelblitze inmitten von Stroh kein flammendes Inferno aus. Die mögliche Erklärung für diesen verblüffenden Umstand: Kugelblitze werden von einem hauchdünnen Wassermantel umschlossen, wie Fußmann bemerkte.
Diese Tatsache verleitete den Forscher zunächst zu der Annahme, der globusförmige Glimmklumpen sei womöglich "lausekalt". Doch weit gefehlt: Im Kern des Kugelblitzes herrscht anfangs ähnliche Hitze wie auf der Sonnenoberfläche - um die 5000 Grad Celsius. Nach außen hin kühlt er sich jedoch rapide ab.
Vermutlich geriet der Kugelblitz erst durch den Irrtum eines historischen Augenzeugen in den Ruf eines verderbenbringenden Feuergeschosses. Seinen Anfang nahm der Mythos wohl mit dem Schicksal des Physikers Georg Wilhelm Richmann. Der umtriebige Gelehrte hatte Mitte des 18. Jahrhunderts Teile seines Hauses in St. Petersburg in eine Beobachtungsstation für Blitze umgebaut.
Mit zeitgemäßer Risikofreude hantierte Richmann ohne Sicherheitsvorkehrungen mit einem selbstmontierten Elektrizitätsanzeiger.
Das Gerät wurde dem wackeren Forscher zum Verhängnis, als im Sommer 1753 tatsächlich ein Blitz in das Metallgestänge einschlug. "Da fuhr aus dem Draht ein weißblauer Feuerball nach Richmanns Kopf: Richmann sank tot darnieder, an seiner Stirn war ein mit Blut unterlaufener Fleck; auch am Körper fanden sich einige Brandflecke", notierte die Allgemeine Deutsche Biographie.
Der Kammerdiener des wohl nur von einem gewöhnlichen Blitz Gefällten hatte die unerfreulichen Vorgänge verfolgt und prompt die Legende vom schauerlichen Kugelblitz in die Welt gesetzt. Seitdem musste die wundersame Erscheinung regelmäßig für Gruselstorys herhalten.
Mal hatte sich eine glühende Kugel todbringend in der Mähne eines Pferdes verheddert; bei anderer Gelegenheit soll ein "als Feuerball sichtbarer Kugelblitz" gar eine Gruppe Jugendlicher in einem Freibad im Sauerland niedergestreckt haben.
Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten ist mehr als zweifelhaft. Plasmaphysiker Fußmann glaubt nach intensiver Forschung am Objekt sicher zu wissen: "Ein Kugelblitz schlägt nirgendwo ein."
Dass sich die flackernden Blasen häufig mit einem imposanten Krachen aus ihrem nur Sekunden währenden Dasein verabschieden, versetzt Beobachter oft zusätzlich in Panik. Die wahrscheinliche Erklärung dieses Vorgangs klingt eher banal als mysteriös: "Es bildet sich wohl ein Knallgasgemisch", vermutet Fußmann.
Weit verblüffender findet der Physiker, dass eine Gruppe brasilianischer Wissenschaftler dem Fachpublikum beinahe zeitgleich zu seinen eigenen Forschungen eine völlig andere Kugelblitztheorie auftischt: Die Kollegen aus Südamerika sind davon überzeugt, dass bei einem normalen Blitzeinschlag unter günstigen Bedingungen reines Silizium entsteht.
Aus dem Halbmetall wiederum gingen dann die sagenhaften Leuchtbomben hervor. Im Laborversuch züchteten die Brasilianer beeindruckende Exemplare, die sogar behende unter Kabeln herkriechen können. Einziger Schönheitsfehler: Ihre Kugelblitze aus der Retorte stimmen in wesentlichen Punkten nicht mit dem Erscheinungsbild der echten überein.
Die Kügelchen aus dem südamerikanischen Labor rollten über den Boden und waren im Durchmesser nicht größer als vier Zentimeter. Die Vorbilder aus der Natur erreichen hingegen mehr als das 20fache an Umfang und schweben nach einhellig verbürgter Meinung aller Zeugen durch die Luft.
So hat Fußmann wohl das bislang beste Rezept für die Entstehung der Feuerkugeln geliefert und kann gelassen abwarten, ob es der Konkurrenz gelingt, die "Inkonsistenzen auszuräumen". Ohnehin ist der Berliner Gelehrte überzeugt, dass nur einer mit seiner Erklärung richtigliegt: "Es wäre doch sehr ungewöhnlich, wenn die Natur ausgerechnet zur Herstellung von Kugelblitzen zwei völlig unterschiedliche Verfahren entwickelt hätte."