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Wie Moor- und Denkmalschutz mit Landwirtschaft unter einen Hut gebracht werden

Archivmeldung vom 08.01.2021

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.01.2021 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott
Moore sind die Schwämme der Natur: Sie schützen vor Überflutungen bei starken Regenfällen und als Wasserspeicher für heiße und trockene Sommer.
Moore sind die Schwämme der Natur: Sie schützen vor Überflutungen bei starken Regenfällen und als Wasserspeicher für heiße und trockene Sommer.

Foto: Urheber
Lizenz: GFDL
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Spezielle aus Rohrkolben bestehende Platten sollen als tragender Baustoff und Dämmmaterial in Bulgarien zur Sanierung von Schwarzmeerhäusern eingesetzt werden. Die traditionellen, denkmalgeschützten Holzgebäude sind vorwiegend in Privateigentum und es fehlt an Wissen und Mitteln für die Sanierung.

In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) fachlich und finanziell geförderten Projekt soll nun im bulgarischen Nessebar ein Sanierungskonzept unter Verwendung von Rohrkolben-Dämmplatten entwickelt werden, mit dem zugleich die regionale Wirtschaft gestärkt wird.

Der Grund für die Wahl von Rohrkolben: Sie gelten als Multitalent für Klima-, Moor-, Hochwasser- und Gewässerschutz. Die Wasser- und Sumpfpflanzen, die regional auch als Lampenputzer, Schlotfeger und Pompesel bezeichnet werden, wachsen in Feuchtgebieten und Mooren, die als Kohlenstoffsenke wichtig für den Klimaschutz sind und sogar bis zu fünfmal mehr Kohlenstoff speichern als Wälder.

Das Problem: Allein in Deutschland wurden bereits mehr als 90 Prozent der Moorflächen durch menschliche Eingriffe entwässert, um sie nutzbar zu machen. Eine der Folgen: Der gespeicherte Kohlenstoff verwandelt sich in Kohlenstoffdioxid, entweicht mit dem 300-mal klimaschädlicheren Lachgas in die Atmosphäre und trägt dort erheblich zur Erderwärmung bei. Laut Umweltbundesamt emittierten zerstörte Böden von Mooren und Wäldern in Deutschland im Jahr 2013 Treibhausgase mit einer Klimawirkung von etwa 45 Millionen Tonnen CO2. Dabei können Niedermoore kommerziell nachhaltig genutzt werden, ohne sie zu entwässern.

Nasse Bewirtschaftung mit dem Multitalent Rohrkolben ist nachhaltig

"Nasse Bewirtschaftung mit Rohrkolbenanbau ist die nachhaltige Lösung, wenn Moorschutz mit Landwirtschaft unter einen Hut gebracht werden soll", sagt Alexander Bonde, Generalsekretär der Stiftung mit Sitz in Osnabrück. Die Technische Universität München hat in einem früheren von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt fachlich und finanziell geförderten Projekt Anfang der 2000er-Jahre im sogenannten Donaumoos nahe Ingolstadt, also Süddeutschlands größtem geschlossenen Niedermoorgebiet, nachgewiesen, dass eine nasse Bewirtschaftung mit Rohrkolbenanbau nachhaltig ist: Der Anbau lohnt sich zum einen finanziell für den landwirtschaftlichen Betrieb. Zum andern dienen die wiedervernässten Flächen als Kohlenstoffsenke, halten überschüssiges Wasser in der Landschaft und reinigen Fließgewässer. Und: Der im November geerntete Rohrkolben taugt vorzüglich als Dämmmaterial.

Architekt und Baustoffentwickler Werner Theuerkorn realisierte spezielle Dämmplatten unter dem Namen Typhaboard - eine Wortschöpfung aus dem wissenschaftlichen Namen des Rohrkolbens ("Typha") und dem englischen Wort für Brett ("board"). Es wurde 2014 mit der Standortinitiative "Deutschland - Land der Ideen" ausgezeichnet. Franz-Peter Heidenreich, DBU-Referatsleiter Kreislaufführung und Bautechnik, erläutert: "Das Typhaboard hat viele bautechnische und -physikalische Vorteile und ist gerade deshalb eine ideale Lösung, weil die Dämmplatten dieses Typs von innen angebracht werden und sich bei traditionellen Holzbauten gut einfügen." Bei einem mittelalterlichen Handwerkerhaus in der Nürnberger Altstadt ist diese Methode vor rund zehn Jahren bereits erfolgreich umgesetzt worden - damals ebenfalls mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der DBU. Zu den Projektbeteiligten gehörten seinerzeit neben Theuerkorn auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP). Dr. Georgi Georgiev, Berater für Planung, Innovation und Politik, ist Projektleiter des im September im bulgarischen Nessebar gestarteten neuen Vorhabens.

"In der Region am Schwarzen Meer herrschen häufig intensive salzhaltige Regenwinde", sagt Georgiev. "Um sich davor zu schützen, bauten die Menschen dort im Laufe der vergangenen fünf Jahrhunderte traditionelle Holzhäuser mit einer typischen Holzvertäfelung als Fassade, die Regen und Wind abhält", so der Ingenieur. Diese Schwarzmeerhäuser seien - was Konstruktion und Energieverbrauch anbelangt - überwiegend in einem schlechten Zustand und müssten saniert werden, um künftig nachhaltig und zeitgemäß genutzt werden zu können. Eine Außendämmung ist wegen des Denkmalschutzes nach Georgievs Worten an der Außenfassade schwierig. Da eigne sich das Typhaboard als tragender und wärmedämmender Baustoff, denn dieser sei als Ausfachung leicht anzubringen und sorge für Innendämmung. Prof. Dr. Martin Krus vom IBP erläutert: "Das Typhaboard ist auch bei hoher Luftfeuchtigkeit zum Dämmen geeignet, da es als Sumpfpflanze einen eigenen mikrobiellen Schutz mit sich bringt. Diese Eigenschaft wird ergänzt um die hohe Alkalität des Bindemittels Magnesit." Das sei ein wesentlicher Unterschied zu den meisten anderen Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, so Krus.

Wissenstransfer in Europäischer Union von großer Bedeutung

Das Rohrkolben-Projekt in Nessebar ist nach den Worten von DBU-Generalsekretär Alexander Bonde ein "Paradebeispiel für die Praxis" und kann wegweisend in der Europäischen Union (EU) sein. Bonde: "Um das EU-Ziel eines klimaneutralen Kontinents bis 2050 zu erreichen, ist ein solcher Wissens- und Technologietransfer zwischen den EU-Mitgliedstaaten von großer Bedeutung." Das Herstellen und Anwenden der Dämmplatten hat Georgiev in Bulgarien mit Fördermitteln der DBU bereits geprüft. "Zu den entscheidenden Materialvorteilen gehört die besonders hohe Dämmwirkung des Materials", sagt er. Das neue Vorhaben könne der Beginn sein, den Ausstoß von Treibhausgasen durch denkmalgeschützte Schwarzmeerhäuser in größerem Umfang zu verringern und die regionale Wirtschaft anzukurbeln.

"Mehr als 10.000 Gebäude diesen Typs sind in Bulgarien und angrenzenden Ländern vertreten", sagt Georgiev. "Wenn wir jeweils etwa fünf Kubikmeter der Dämmplatten für die Sanierung einsetzen, werden rund 50.000 Kubikmeter des Baustoffs benötigt." Eine derartige Nachfrage würde seinen Berechnungen zufolge eine dezentral angelegte Produktionsanlage viele Jahre auslasten und regionale Wirtschaftskreisläufe stärken.

Geplant sei auch, moderne Smart-Home-Konzepte sowie energieeffiziente LED-Beleuchtungssysteme bei der nachhaltigen Sanierung der Schwarzmeerhäuser zu berücksichtigen. Dazu Georgiev: "Besonderes Augenmerk wird auf die Auswahl nachhaltiger Heizungssysteme gelegt, um schädliche Emissionen in innerstädtischen Bereichen historischer Städte zu verringern." Bisher werden die Gebäude nach seinen Worten meistens mit Holz oder Kohle beheizt, was einen hohen Feinstaub- und Kohlenstoffdioxidausstoß zur Folge habe. Durch das Vorhaben sollen nicht nur Planer, Handwerker und Baustoffhersteller für die Produktion des Dämmmaterials sensibilisiert werden. Eine große Rolle bei der Umsetzung spielen auch die Landwirte bei Anbau und Ernte von Rohrkolben sowie kleine und mittlere Unternehmen für eine mögliche dezentrale Produktion.

Neben dem IBP und Werner Theuerkorn wird die energetische Sanierung der bulgarischen Schwarzmeerhäuser mit Rohrkolben vom Forschungszentrum für Bauen, Architektur und Entwerfen der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und Künste - unter Leitung von Prof. Dr. Arch. Nikolay Tuleschkow - flankiert, die ein großes Netzwerk von regionalen Partnern der Wissenschaft und Wirtschaft aus Bulgarien, Rumänien, dem Westbalkan und Griechenland pflegt. Das Vorhaben soll Ergebnisse für eine Strategie liefern, deren Ziel eine ganzheitliche energetische und strukturelle Sanierung historischer Fachwerkhäuser mit Holzverschindelung als Fassadenabdeckung ist. Im Fokus stehen dabei insbesondere Regionen mit intensiven und dynamischen Witterungsverhältnissen, wo die Strategie bei ähnlichen Bautypen möglicherweise zum Einsatz kommen kann. Zusammen mit dem neuen Vorhaben unterstützte die DBU die Projekte mit insgesamt rund 1,3 Millionen Euro.

Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) (ots)

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