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Universität Hohenheim eröffnet Deutschlands erste Forschungsbiogasanlage

Archivmeldung vom 21.07.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Mit Bio-Vollgas in die Zukunft: Bis zu 50 Prozent mehr Energie pro Hektar Anbaufläche halten die Biogas-Experten der Universität Hohenheim für möglich. Den Weg dorthin soll ihnen Deutschlands erste große Biogasanlage zu Forschungszwecken weisen, die am 19. Juli in Eningen (Landkreis Reutlingen) ans Netz geht. Wissenschaftliche Untersuchungen ermitteln die richtige Mischung aus Dung und neuen Energiepflanzen.

Neue, angepasste High-Tech-Verfahren sollen bis zu 50 Prozent mehr aus dem Biogasprozess herausholen. Die Öko-Bilanz des Avantgarde-Kraftwerks kann sich schon mal sehen lassen: Das Gas betreibt ein Blockheizkraftwerk, soll einmal Autos betanken und nach Reinigung und Aufbereitung Erdgas ersetzen. Der Strom fließt ins Netz, die Abwärme heizt Universitätsgebäude und die Reststoffe sollen, als neuer Designerbrennstoff, alte Ölheizungen ablösen. Als Herz der Forschungsplattform Bioenergie dient die Anlage als Kristallisationspunkt der Forschungsaktivitäten zur Bioenergie in Baden-Württemberg. Die Baukosten belaufen sich auf rund 2,5 Millionen Euro, zwei Drittel davon finanziert die Universität Hohenheim über Stiftungen und eingeworbene Sponsorengelder, vor allem von EnBW und Fair Energy. Die ersten Forschungsprojekte werden seitens des baden-württembergischen Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum (MLR), im Rahmen der Zukunftsoffensive IV, finanziert.

Knapp werden nicht nur die fossilen Brennstoffe, sondern auch die Ackerfläche, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren - diesem Dilemma kann sich die Diskussion um Bioenergie nicht entziehen, konkurrieren Energiepflanzen und Nahrungsmittel doch um dieselbe Nutzfläche.

"Energie- und Nahrungsproblematik sind ein Thema, das nur im Verbund gelöst werden kann", bilanziert der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Hans-Peter Liebig. "Mit unseren beiden Schwerpunkten "Globale Ernährungssicherung" und "Bioenergie" forschen wir an der Universität Hohenheim an beiden Seiten der Medaille. Mit Deutschlands erster Forschungsbiogasanlage im Praxis-Maßstab machen wir einen wichtigen Schritt die Nahrungs/Energie-Konkurrenz zu mildern."

Neue Dimensionen für die Biogasforschung

Neue Maßstäbe für die Biogas-Forschung setzt nun Deutschlands erste große Versuchsanlage in Eningen: In zwei Fermentern und einer Nachgäranlage mit einem Volumen von je 923 m³ werden pro Tag 7.300 kg Flüssigmist, 3.500 kg Festmist und 5.600 kg nachwachsende Rohstoffe wie Silomais, Hirse, Grünroggen und Gras vergärt. Das entstehende Methangas betreibt anschließend ein Blockheizkraftwerk mit einer elektrischen Leistung von 190 kW und einer Thermischen Leistung von 220 kW.

Doch das ist erst der Anfang: "Die Technik zur Produktion von Biogas hat zwar bereits ein gewisses Niveau erreicht", erklärt Prof. Dr. Thomas Jungbluth vom Institut für Agrartechnik und Dekan der Fakultät Agrarwissenschaften, "trotzdem gibt es noch enormes Verbesserungspotential".

Zukunfts-Chancen erhoffen sich die Wissenschaftler durch:

  • Das Intensivmessprogramm: Online-Messtechnik und neue Computer-Modelle erlauben erstmals, einzelne Prozesse in der Anlage genau zu studieren, optimieren und künftige Anlagen besser zu steuern.
  • Neue Pflanzen: Experimente mit unterschiedlichen Energiepflanzen haben das Ziel, besonders ergiebige Sorten zu züchten und ideale Anbaubedingungen zu ermitteln.
  • Verbesserung der Gasproduktion: Testreihen ermitteln ideale Mischverhältnis von Gülle und nachwachsenden Rohstoffen. Gleichzeitig im Test sind verschiedene Enzyme, Mikroorganismen und andere biologische Zusatzstoffe sowie Spezialtechniken, die den Gärungsprozess erleichtern.
  • Verbesserung der Gasverwertung: Im Kraftwerk sollen neue Motorentwicklungen die Stromausbeute steigern, neue Verfahren zur Gasreinigung sollen das Biogas fit für Erdgas-Ersatz und als Kraftstoff machen.
  • Reststoffverwertung: Reststoffe der Anlage sollen als Dünger oder als neuer Designerbrennstoff verwertet werden, der in normalen Öfen verbrannt werden kann.
  • Evaluierung und Öko-Bilanz: Mit einem ganzheitlichen Blickwinkel analysieren Forscher die Anlage aus ökonomischer, ökologischer Sicht sowie im Vergleich zu anderen Produktionswegen von Bioenergie.


Zu einer runden Sache werde das Projekt auch durch einen idealen Standort. "Um Energie für den Transport des Kuhdungs und Kosten zu sparen, wurde die Forschungsanlage direkt auf der Versuchsstation für Tierhaltung, Tierzüchtung und Kleintierzucht am Unteren Lindenhof erstellt. An diesem Standort kann die gesamte Abwärme des Blockheizkraftwerkes zum Beheizen der Ställe, der Bürogebäude und Wohnungen genutzt werden", freut sich Dr. Hans Oechsner, Leiter der Landesanstalt für Landwirtschaftliches Maschinen- und Bauwesen.

"Da bei Biogas, anders als bei anderen Systemen, zur Bioenergieerzeugung die gesamte Pflanze und nicht nur die Saat genutzt wird, ist dieses Verfahren besonders nachhaltig und liefert heute schon bis zu 70.000 kWh Energie pro ha Anbaufläche", erklärt Dr. Oechsner. "Die neuen Forschungsansätze sollen eine weitere Effizienzsteigerung bewirken und zur Entspannung der Flächenkonkurrenz beitragen."

Nationaler Vorreiter und Herzstück der Biogasforschung in Baden-Württemberg

"Mit der Einweihung der Biogasforschungsanlage hier in Eningen erhält die Bioenergieforschungsplattform Baden-Württemberg ihr Herzstück. Baden-Württemberg wird dadurch zum nationalen Vorreiter bei der Biogasforschung. Durch die Vernetzung mit anderen Hochschulen und einer Vielzahl von Fachgebieten in der Forschungsplattform erreichen wir eine ganzheitliche Forschung und dadurch zukunftsfähige und intelligente Lösungen", sagte die Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Friedlinde Gurr-Hirsch, parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum.

Ziel der Maßnahmen sei es, auf der Basis der landwirtschaftlichen Versuchstation Unterer und Oberer Lindenhof der Universität Hohenheim und den dort bestehenden Möglichkeiten für die Durchführung von Forschungs- und Untersuchungsprojekten im Bereich der Pflanzen-, Tier- und Biogasproduktion, vielschichtige Fragestellungen für eine optimale energetische und ressourcenschonende Biomasseproduktion, Biogaserzeugung und -nutzung zu bearbeiten. Dabei ist eine spezielle Methodik zur Erfassung der relevanten Parameter (z. B. in der Pflanzenproduktion), zur Entwicklung von entsprechenden Szenarien und zur Umsetzung in zielführende Konzepte und in adäquate Steuerungssysteme zu entwickeln. Für diese Arbeiten wurde ein Verbund zwischen verschiedenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen etabliert.

2,5 Millionen Euro Baukosten - und eine lange Tradition

An reinen Baukosten für die Biogasanlage fielen rund 2,5 Millionen Euro an. Mit rund 1,5 Millionen Euro der Gesamtsumme brachte die Universität Hohenheim den Großteil davon aus eigenen Mitteln und eingeworbenen Sponsorengeldern auf. Vor allem die örtlichen Energieversorger FAIR ENERGIE und EnBW unterstützten sowohl die technische als auch die finanzielle Realisierung.

"Bioenergie bildet an der Universität Hohenheim einen Schwerpunkt mit langer Tradition", begründet Rektor Prof. Dr. Liebig das besondere Engagement. 2004 weihte die Universität das modernste Biogas-Labor Europas ein, 2008 eröffnete der komplett ausgebuchte Studiengang "Bioenergie und Nachwachsende Rohstoffe". Insgesamt reicht das Forschungs-Engagement bis in die erste Hälfte des vorherigen Jahrhunderts zurück.

Forschung im Spannungsfeld der Globalen Ernährungssicherung

Parallel bilde die Forschung zur Globalen Ernährungssicherung einen mindestens gleichwertigen Schwerpunkt, betont der Rektor. Weltweit genieße vor allem das Kompetenzzentrum für Pflanzenzüchtung einen herausragenden Ruf. Seit acht Jahren engagieren sich über 70 Wissenschaftler zusammen mit asiatischen Kollegen in einem Sonderforschungsbereich, der angepasste, nachhaltige Landwirtschaft zusammen mit der Lokalbevölkerung als Lösung ethnischer, sozialer und ökologischer Probleme etabliert. "In naher Zukunft planen wir auch die Rückkehr nach Afrika, wo wir in den 90er Jahren bereits verstärkt tätig waren."

Auf europäischen Böden spiele die Konkurrenz zwischen Energiepflanzen- und Nahrungsmittelproduktion bisher nur regional eine gewisse Rolle, erläutert Prof. Dr. Jungbluth. So würden bundesweit derzeit 14 Prozent der Ackerfläche für den Anbau von Energiepflanzen genutzt und davon lediglich drei Prozent für Biogas. "Wobei die EU über den Weltmarkt an der aktuellen Krise natürlich auch beteiligt ist."

Effizienzsteigerung als Schlüsselparameter für Nahrung und Energie

Da es weltweit kaum zusätzliche Ackerflächen zu erschließen gäbe, sehen Wissenschaftler der Universität Hohenheim das vorrangige Ziel in einer Landwirtschaft, die auf der bestehenden Fläche bei zunehmend knappem Wasser mehr Lebensmittel erzeuge. Zeitgleich müsse die Produktion nachhaltig erfolgen: Landwirtschaft müsse klimabewusst arbeiten, weniger fossile Energie verbrauchen, die globale Artenvielfalt schützen, Armut und Hunger eliminieren und politische Krisen verhindern.

"Richtig ist, dass sich das Welthunger- und das Weltenergieproblem nur gemeinsam nachhaltig lösen lassen - eine Aufgabe für Politik und Forschung gleichermaßen", kommentiert Prof. Dr. Manfred Zeller, Experte für internationale Agrarpolitik der Universität Hohenheim. "Die aktuell steigenden Nahrungsmittelpreise wurden allerdings von einer Reihe globaler Faktoren ausgelöst. Bioenergie alleine verantwortlich zu machen, hieße die Situation sträflich zu vereinfachen."

Fakt bleibt, dass die Forschungsanstrengungen in beiden Bereichen - Bioenergie und Ernährungssicherung - weltweit intensiviert werden müssen, um der Menschheit einen Weg aus der aktuellen Krise zu weisen", summiert Prof. Dr. Liebig. "Mit unserer neuen Biogasanlage haben wir einen großen Schritt getan, um - wie auch mit unserer gesamten Forschung - unseren Beitrag dazu zu leisten."

Hintergrund: Forschungsplattform Bioenergie - Partner und Projekte

Die Biogasanlage der Universität Hohenheim ist das Herzstück der "Forschungsplattform Bioenergie" des Landes Baden-Württemberg mit einem Gesamtvolumen von 2,4 Millionen Euro. Neben der Universität Hohenheim sind an der Forschungsplattform außerdem die Universität Stuttgart, das Forschungszentrum Karlsruhe, die Hochschulen Rottenburg und Reutlingen sowie das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung beteiligt. Durch die interdisziplinäre Arbeitsweise, unter Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure, wird eine effizientere Forschung mit besseren Ergebnissen möglich. Während die Universität Hohenheim Intensiv-Messreihen durchführt und verfahrenstechnische Forschung an der Biogasanlage vornimmt sowie zu pflanzenbaulichen Maßnahmen und Reststoffverwertung forscht, beschäftigen sich weitere Arbeitsgruppen mit der Gasaufbereitung und mit einer Analyse des Gesamtsystems. Ermöglicht wurde die Biogasanlage durch das Sponsoring und Spenden der Ellrichshausen-Stiftung sowie der Firmen EnBW, FAIR ENERGY, KWS, Schaumann Stiftung, MT-Energie und VAG-Armaturen.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.

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