Amöbe hilft Evolutionsrätsel um Photosynthese lösen
Archivmeldung vom 29.03.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDie Photosynthese ist einer der wichtigsten biochemischen Prozesse, der im Laufe der Evolution auf unserem Planeten hervorgebracht wurde. Dabei wird Sonnenlicht in chemische Energie umgewandelt. Verantwortlich hierfür sind in höher entwickelten Pflanzenzellen die mit Farbpigmenten ausgestatteten Chloroplasten. Diese Zellorganellen sind einst aus unabhängigen Photosynthese treibenden prokaryontischen Organismen (Cyanobakterien) hervorgegangen, die von eukaryontischen Zellen `verschluckt´ und integriert wurden.
Endosymbiose nennt sich dieser zelluläre Einverleibungsprozess, bei dem
Wirtszelle und integrierter Organismus in wechselseitige Abhängigkeit
geraten. Wie dieser Prozess entwicklungsgeschichtlich verlaufen ist,
ist im Detail noch ungeklärt.
"Wenn wir verstehen, wie die
genetische Integration zwischen Wirtszelle und dem einst einverleibtem
Organismus verläuft, sind wir einen großen Schritt weiter", so Dr.
Gernot Glöckner vom Leibniz-Institut für Altersforschung -
Fritz-Lipmann-Institut in Jena. Bekannt ist bislang, dass dabei
nicht-benötigte Gene der Zellorganelle verloren gehen und andere an die
Wirtszelle weitergegeben werden. Aufschlussreiche neue Erkenntnisse
liefert nun die so genannte Thecamöbe Paulinella chromatophora, eine
genetisch äußerst komplexe Schalenamöbe. "Was dieses anpassungsfähige
Wechseltierchen für uns so interessant macht, ist seine Fähigkeit,
Photosynthese zu betreiben", betont Glöckner. Dieses einzellige, von
Lauterborn bereits 1885 beschriebene Lebewesen nutzt hierfür bestimmte
farbpigmenthaltige, wurstförmige Zellstrukturen, die Chromatophoren.
Wie die Photosynthese-treibenden Zellen, von denen die Pflanzen
abstammen, ist Paulinella das Produkt einer endosymbiotischen Beziehung
zwischen einer eukaryontischen Wirtzelle und einer vormalig
unabhängigenen Prokaryonten-Zelle (ebenfalls ein Cyanobakterium).
Zellorganelle und Wirt sind mit der Zeit allerdings in wechselseitige
Abhängigkeit geraten und können nun unabhängig voneinander nicht mehr
existieren.
"Um den entwicklungsgeschichtlichen Parallelen
zwischen beiden Photo-Energie-Systemen auf den Grund zu gehen, haben
wir die Genomsequenz der Chromatophoren von Paulinella analysiert und
mit dem Genom von Chloroplasten sowie frei lebenden Cyanobakterien
verglichen", erklärt Dr. Glöckner den Grundansatz des aktuell in
Current Biology veröffentlichten Forschungsprojektes. "Wir unterhalten
hierfür eine äußerst fruchtbare Forschungskooperation mit Prof. Dr.
Michael Melkonian und Eva Nowack vom botanischen Institut der Uni
Köln", so der Jenaer Wissenschaftler. So wurden die Amöben in Köln
kultiviert. Dann wurde das genetische Material der Chromatophoren
isoliert und in Jena mit einem Hochdurchsatz-Sequenzer der neuesten
Generation (454 FLX) durchsequenziert. Analysiert wurden die Ergebnisse
gemeinsam.
Der Befund: "Das Genom der untersuchten
Chromatophoren hat eine Kodierungskapazität von 1 Mb (Megabase) und
übersteigt die des Chloroplastengenoms um das 5fache", so der
Mitarbeiter aus der Forschergruppe um Dr. Matthias Platzer. Im
Vergleich mit seinen freilebenden Verwandten, einem cyanobakteriellem
Vorfahr, ist das Genom allerdings stark reduziert. "Das heißt, über 2
Drittel der Gene gingen verloren", erläutert Glöckner.
Behalten
haben die Chromatophoren aber die Fähigkeit, autonom Photosynthese zu
betreiben. Nicht so die Chloroplasten: bei ihnen ist ein Teil der
Photosynthese-Gene in den Kern der Wirtszelle verlegt wurde. Codiert
sind im Chromatophoren-Genom auch Synthesewege für Aminosäuren und
Vitamine. "Wir gehen davon aus, dass diese Stoffe neben der
Photosyntheseleistung von der Wirtszelle zum Überleben benötigt
werden", sagt der Genomforscher. Glöckner weiter: "Der Wirt ist also in
mehrfacher Weise von diesem Photosynthese-Organell abhängig". Umgekehrt
fehlt den Chromatophoren die genetische Information zur Steuerung des
Zitratzyklus, eines zentralen Teils des Zuckerstoffwechsels, sowie
weiterer elementarer Stoffwechselwege.
Die Wissenschaftler
vermuten, dass die Chromatophoren eine entwicklungsgeschichtliche
Zwischenstufe darstellen hin zu den Chloroplasten, wie sie in den
heutigen höheren Pflanzen vorkommen: "Wir verstehen die Entwicklung
solcher Zellorganellen als zweistufigen Prozess. Im ersten Schritt
geraten Wirt und Endosymbiont durch den Austausch von Stoffen mehr und
mehr in Abhängigkeit (Chromatophoren). Im Zuge des zweiten Schrittes
verlagern sich Gene des einverleibten Organismus in den Zellkern der
Wirtszelle, der damit die totale regulatorische Hoheit über das
Organell übernimmt (Chloroplasten)."
"Die Sequenzierung des
Organellgenoms von Paulinella Chromotophora hat uns gezeigt, welche
Funktionen im Zellstoffwechsel im Verlauf der genetischen Integration
aufgegeben bzw. beibehalten wurden", so Glöckner. Um ein umfassendes
Bild der genetischen Integrationsprozesse bei der Endosymbiose zu
erhalten, müsste aber auch das Genom der Wirtszelle durchsequenziert
werden. "Theoretisch ist das kein Problem", meint der Amöbenforscher.
Praktisch aber erweise sich ein solches Projekt als äußerst aufwändig
und kostspielig. "Denn in puncto genetischer Ausstattung steht die
Amöbe uns Menschen - leider - in nichts nach", bedauert Dr. Gernot
Glöckner. "Wir bräuchten dafür vom Ausmaß her ein zweites humanes
Genomprojekt - aber dieses Mal für Amöben!".