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Kollaps des Wilkins-Eisschelfs

Archivmeldung vom 17.06.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.06.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Eine 160 Quadratkilometer große Eisplatte ist mitten im antarktischen Winter abgebrochen – vermutlich eine Folge des Klimawandels.

In nur zwei Tagen, vom 30. bis 31. Mai, brach in der Antarktis eine 160 Quadratkilometer große Eisplatte vom Wilkins-Eisschelf in der Antarktis ab. Dies zeigen Radaraufnahmen des Erdbeobachtungssatelliten Envisat der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Eigentlich sind solche Abspaltungen normal, wenngleich sie sich aufgrund der globalen Erwärmung in jüngster Zeit häufen. Der jetzt beobachtete Kollaps des Wilkins-Schelfs, der sich entlang der antarktischen Halbinsel erstreckt, nimmt jedoch eine Sonderstellung ein: Erstmals wurde ein solches Ereignis im antarktischen Winter dokumentiert. Vermutlich lässt die globale Erwärmung die Eismasse so rasch zerfallen. „Die antarktische Halbinsel erwärmte sich in den vergangenen 50 Jahren ungewöhnlich stark um 2,5 Grad Celsius“, erklären die Envisat-Projektwissenschaftler Matthias Braun vom Zentrum für Fernerkundung der Landoberfläche der Universität Bonn und Angelika Humbert von der Arbeitsgruppe Polargeophysik der Universität Münster. In den vergangenen 20 Jahren zerfielen sieben Eisschelfe an der antarktischen Halbinsel. Der spektakulärste Kollaps ließ den Larsen-B-Schelf zerbröseln, von dem im Frühjahr 2002 eine Eisplatte von 3250 Quadratkilometern Fläche abbrach. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Schelf für über 10 000 Jahre stabil gewesen. Den Klimaforschern gelten diese Ereignisse als Indikatoren der globalen Erwärmung.

Antarktis in der Klimazange

Die antarktische Halbinsel ist besonders davon betroffen, weil sie von wärmeren Luftmassen und steigenden Wassertemperaturen gleichsam in die Zange genommen wird. Der aktuelle Abbruch zeige, so das deutsche Forscherduo weiter, dass Schmelzwasser keine Rolle gespielt haben kann. Dabei stand es lange im Verdacht, der auslösende Faktor für das Zerbrechen einer Eismasse zu sein. Doch im derzeit herrschenden antarktischen Winter ist die Oberfläche des Schelfeises komplett gefroren. Deshalb seien als Ursache des Abbruchs höhere Ozeantemperaturen zu vermuten, die Schmelzprozesse auf der Unterseite des Eises auslösen. „Jetzt kann nicht einmal mehr der Winter das Eis der Antarktis schützen“, verlautbart dazu die Esa.

Die jetzt abgebrochene Eismasse wurde nach Angaben von Braun und Humbert bereits vor rund einem Jahr mit feinen Rissen durchzogen. „Der eigentliche Schaden ist bereits damals entstanden“, betont Humbert. Unterschiedlich große Auftriebskräfte führen zu Biegespannungen im Eis und somit zu Rissen, die sich schlagartig ausdehnen. Das dadurch instabil gewordene Eis bricht zu einem späteren Zeitpunkt. Die größten Spannungen treten durch das „Fließen“ des Eises auf, also durch Verformungen unter seinem eigenen Gewicht. Einen ersten Abbruch einer Eisplatte hatte es im Februar 2008 gegeben. Jetzt verlief die Abspaltung jedoch anders: Während damals die ersten Eisberge an der Eisfront kalbten, bricht die Eismasse jetzt von innen nach außen auf. Sehr schmale „Scheibeneisberge“ kippen dabei um und drücken so die vor ihnen liegende Eismasse nach außen.

Der schützende Eiswall schwindet

Der Wilkins-Eisschelf bildet einen ehemals rund 15 Kilometer breiten Eissteg zwischen zwei Inseln – Charcot und Latady –, die rund 1000 Kilometer vor der Südspitze Südamerikas liegen. Seit dem neuerlichen Abbruch ist er nur noch 2,7 Kilometer breit. Die Envisat-Aufnahmen zeigen auf der verbliebenen Eisbrücke einen bogenförmigen Riss. Laut den beteiligten Forschern dürfte dieser Steg in den nächsten Tagen komplett zerbrechen. Die Folgen für die Stabilität des übrigen Schelfeises sind nicht abzusehen. Sind die Schelfe aber erst verschwunden, beschleunigen sich dahinter die Eisströme, die vorher von diesen Gletscherzungen blockiert worden waren. Satellitendaten zeigen, dass der gesamte westantarktische Eisschild zwischen April 2002 und August 2005 rund 152 Kubikkilometer Eis pro Jahr verlor.

Als einzige der großen Eismassen der Erde blieb nur der ostantarktische Eisschild bislang nicht nur stabil, sondern wächst sogar. Zwischen 1992 und 2003 nahm seine Masse um 45 Milliarden Tonnen zu. Der Grund dafür ist, dass durch die globale Erwärmung weltweit mehr Wasser verdunstet, das sich an den Kältepolen unseres Planeten als Schnee niederschlägt. Zwar wird auch die Ostantarktis irgendwann von der globalen Erwärmung erfasst und beginnt zu schmelzen. Bis ihr Eis verschwunden ist, vergehen indes Jahrtausende. Auf Grönland und in der Westantarktis könnten sich die Eispanzer nach Meinung einiger Klimaforscher jedoch bereits im nächsten Jahrhundert vollständig auflösen. Allein das tauende Grönlandeis ließe den Meeresspiegel dann um über fünf Meter steigen.

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