Viele Milliarden Planeten in habitablen Zonen um rote Zwergsterne in der Milchstraße
Archivmeldung vom 28.03.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtNeue Ergebnisse des ESO-Planetenjägers HARPS zeigen, dass felsige Planeten, die nicht viel größer als unsere Erde sind, ausnehmend häufig in den habitablen Zonen um schwach leuchtende rote Sterne vorkommen. Ein international besetztes Forscherteam schätzt ihre Anzahl alleine in der Milchstraße auf mehrere zehn Milliarden - einige hundert davon in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Sonne. Dies ist die erste direkte Messung der Häufigkeit so genannter Supererden in Umlaufbahnen um rote Zwergsterne, einen Sterntyp, zu dem etwa 80% aller Sterne in der Milchstraße zählen.
Ein international besetztes Forscherteam hat die erste Abschätzung der Anzahl leichter Planeten veröffentlicht, die sich in Umlaufbahnen um rote Zwergsterne befinden. Das Team stützte sich dazu auf Beobachtungen, die mit dem HARPS-Spektrografen am 3,6-Meter Teleskop des La Silla- Observatoriums der ESO in Chile gewonnen wurden [1].
Die Untersuchung ergänzt eine andere, noch nicht lange zurück liegende Veröffentlichung, in der die Zahl von Exoplaneten mit einer völlig anderen Methode abgeschätzt wurde. Damals konnte gezeigt werden, dass es insgesamt eine sehr große Zahl von Exoplaneten in der Milchstraße gibt. Die hier untersuchte sehr wichtige Klasse von Exoplaneten konnte auf diese Weise allerdings nicht erfasst werden.
Das HARPS-Team suchte nach Exoplaneten, die rote Zwergsterne (auch bekannt als M-Zwerge [2]) umkreisen – die häufigste Art von Sternen in der Milchstraße. Rote Zwerge haben im Vergleich zur Sonne deutlich niedrigere Oberflächentemperaturen. Sie sind jedoch sehr häufig und haben lange Lebensspannen. Daher machen sie 80% aller Sterne in der Milchstraße aus.
“Unsere neuen Beobachtungen mit HARPS zeigen, dass wohl etwa 40% aller roten Zwerge von einer Supererde umkreist werden, die sich in der habitablen Zone des Sterns befindet – also in dem Abstandsbereich, in dem flüssiges Wasser auf der Planetenoberfläche vorkommen”, so Xavier Bonfils vom IPAG - Observatoire des Sciences de l'Univers de Grenoble in Frankreich, der Leiter der Studie. “Weil rote Zwerge so häufig sind – in der Milchstraße gibt es etwa 160 Milliarden – führt uns das zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass es alleine in unserer Milchstraße mehrere zehn Milliarden solcher Planeten gibt.”
Das HARPS-Team überwachte während einer sechsjährigen Beobachtungsphase 102 sorgfältig ausgewählte rote Zwerge am Südhimmel. Dabei fanden die Astronomen insgesamt neun Supererden (also Planeten mit Massen zwischen einer und zehn Erdmassen). Unter diesen Planeten waren auch zwei, die ihre Zentralgestirne – Gliese 581 und Gliese 667 C – innerhalb deren habitabler Zone umkreisen.
Die Forscher berechneten anschließend, wie häufig verschiedene Arten von Exoplaneten bei roten Zwergsternen sind: Dazu kombinierten sämtliche Beobachtungen, auch die von Sternen, bei denen keine Planeten gefunden wurden, und sie prüften auch nach, welcher Anteil der bereits bekannten Exoplaneten mit der neuen Methode hätte gefunden werden können. Das Ergebnis ist: Supererden [3] in der habitablen Zone der Zwergsterne kommen mit einer Häufigkeit von 41% vor. (Die Grenzen des Fehlerbereichs dieser Abschätzung liegen bei 28% und 95%.)
Massereiche Planeten wie die Gasriesen Jupiter und Saturn in unserem Sonnensystem kommen bei roten Zwergen dagegen nur selten vor: Weniger als 12% der roten Zwergsterne sollten den Abschätzungen des HARPS-Teams nach von Riesenplaneten – also Planeten mit 100 bis 1000-facher Masse der Erde – umkreist werden.
Da es auch in der Umgebung der Sonne viele rote Zwerge gibt, bedeutet die neue Abschätzung auch, dass es innerhalb von 30 Lichtjahren um das Sonnensystem etwa einhundert Supererden geben sollte, die ihren Zentralstern in der habitablen Zone umlaufen [4].
"Die habitable Zone eines roten Zwergs – also der Bereich, in dem flüssiges Wasser auf der Planetenoberfläche vorkommen kann – liegt viel näher am Zentralstern als die Bahn der Erde an der Sonne", erklärt Stéphane Udry vom Observatoire de Genève, ein weiteres Mitglied des Teams. "Wir wissen aber, dass rote Zwerge zu Helligkeitsausbrüchen neigen, so genannten Flares. Diese Flares würden die Planeten einer sehr intensiven Ultraviolett- und Röntgenstrahlung aussetzen. Die Existenz von Leben dürfte unter solchen Umständen sehr unwahrscheinlich sein."
Einer der im Rahmen der HARPS-Durchmusterung von roten Zwergsternen entdeckten Planeten trägt die Bezeichnung Gliese 667Cc [5]. Es handelt sich dabei um den zweiten bekannten Planeten in diesem Dreifach-Sternsystem; der erste Planet wurde im Jahr 2009 entdeckt. Seine Umlaufbahn scheint nahe der Mitte der habitablen Zone zu liegen. Obwohl dieser Planet mehr als die vierfache Masse der Erde besitzt, handelt es sich bei ihm doch um den bisher ähnlichsten “Zwilling” unserer Heimatwelt. Auf seiner Oberfläche herrschen mit großer Wahrscheinlichkeit Bedingungen, die das Vorkommen von flüssigem Wasser ermöglichen. Gliese 667Cc ist die zweite Supererde innerhalb der habitablen Zone eines roten Zwerges, die im Rahmen der HARPS-Durchmusterung gefunden wurde. Die erste derartige Supererde war Gliese 581d, deren Entdeckung 2007 bekannt gegeben wurde und 2009 bestätigt werden konnte.
“Wir wissen nun, dass viele rote Zwerge in der Nachbarschaft des Sonnensystems von Supererden umkreist werden dürften. Wir müssen sowohl HARPS als auch zukünftige Instrumente einsetzen, um diese Planeten in unserer Nachbarschaft tatsächlich nachzuweisen. Einige dieser Planeten sollten auf ihrer Bahn von der Erde aus gesehen vor ihrem Zentralstern vorüberziehen. Das würde uns die aufregende Gelegenheit geben, die Atmosphäre des jeweiligen Planeten zu untersuchen und nach Spuren von Leben zu fahnden”, schließt Xavier Delfosse, ebenfalls Mitglied des Teams.
Endnoten
[1] HARPS misst die so genannte Radialgeschwindigkeit eines Sterns mit sehr großer Genauigkeit. Ein Planet, der den Stern umkreist, bewirkt typischer Weise, dass sich der Stern regelmäßig immer wieder auf einen Beobachter auf der Erde zu und von ihm weg bewegt. Durch den Dopplereffekt erzeugt diese Änderung der Radialgeschwindigkeit eine Verschiebung des Spektrums des Sterns zu längeren Wellenlängen (eine sogenannte Rotverschiebung) wenn sich der Stern vom Beobachter weg bewegt, und hin zu kürzeren Wellenlängen (Blauverschiebung), wenn er sich auf den Beobachter zu bewegt. Diese winzige Verschiebung der Wellenlängen im Spektrums des Sterns kann mit einem extrem genauen Spektrografen wie HARPS gemessen werden; über diesen Umweg lässt sich die Anwesenheit eines Exoplaneten nachweisen.
[2] Man nennt diese Sterne auch M-Zwerge, da sie der Spektralklasse M angehören. Dabei handelt es sich um die „kühlste“ der sieben Spektralklassen des
einfachsten Stern-Klassifikationsschemas, bei dem Astronomen Objekte absteigend nach Temperatur und nach dem Erscheinungsbild des jeweiligen Spektrums einordnen.
[3] Planeten mit einer Masse zwischen einer und zehn Erdmassen heißen Supererden. In unserem eigenen Sonnensystem gibt es keine Planeten dieses Typs. Bei anderen Sternen scheinen sie jedoch sehr häufig zu sein. Entdeckungen von Supererden innerhalb der habitablen Zone haben große Bedeutung, da diese Planeten, wenn sie von Wasser bedeckte Gesteinsplaneten ähnlich der Erde sind, prinzipiell Leben beherbergen könnten.
[4] Als Umgebung der Sonne definieren Astronomen unsere kosmische Nachbarschaft bis zu einem Abstand von zehn Parsec, entsprechend 32,6 Lichtjahren.
[5] Die Bezeichnung bedeutet, dass es sich um den zweiten bekannten Planeten handelt (daher der Buchstabe c), der die dritte Komponente (C) des Dreifach-Sternsystems Gliese 667 umkreist. Von Gliese 667Cc aus gesehen würden die Begleitsterne Gliese 667A und B strahlend hell am Himmel stehen. Eine unabhängige Entdeckung von Gliese 667Cc wurde von Guillem Anglada-Escudé und Kollegen bereits im Februar 2012 bekannt gegeben, etwa zwei Monate, nachdem die Vorabversion des Fachartikels von Bonfils und Kollegen online erschienen war. Die Bestätigung der Planeten Gliese 667Cb und Cc durch Anglada-Escudé und Kollegen beruhte dabei zu einem großen Teil auf HARPS-Beobachtungen und der Datenauswertung des europäischen Teams, die im wissenschaftlichen Archiv der ESO zugänglich gemacht worden waren.
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie (idw)