Ethikrat: Mit Gene-Drive Krankheitsüberträger und Agrarschädlinge ausrotten?
Archivmeldung vom 27.10.2017
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Freigeschaltet durch André Ott"Gene-Drive - Vererbungsturbo in Medizin und Landwirtschaft" - unter diesem Titel stand die öffentliche Herbsttagung, zu der der Deutsche Ethikrat am 26. Oktober 2017 nach Frankfurt am Main eingeladen hatte. Gene-Drives sind molekularbiologische Mechanismen, die genetische Merkmale zügig innerhalb einer Gruppe von Lebewesen verbreiten.
In Verbindung mit neuen Techniken der Genom-Editierung wie CRISPR-Cas9 können sie sehr große Wirkung entfalten. Wegen ihrer raschen Generationenfolge sind es derzeit vorwiegend Insekten, an denen Eingriffe mit Gene-Drive-Systemen erforscht werden. So sollen mittels Gene-Drive beispielsweise Populationen von Mücken kontrolliert werden, die Krankheiten wie Malaria übertragen. Derartigen Chancen stehen allerdings schwer überschaubare ökologische Risiken sowie weitere rechtliche und ethische Bedenken gegenüber, die es im gesellschaftlichen Diskurs abzuwägen gilt.
Der Ethikrat habe Gene-Drives auf seine Tagesordnung gesetzt, "weil dieses Thema noch nicht ins Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit vorgedrungen ist und noch keine Fakten gesetzt worden sind", betonte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, in seiner Begrüßung. Es gehe darum, unbequeme Fragen zu stellen, so Dabrock, und an einer Gestaltung zu arbeiten, die neben verschiedenen gesellschaftlichen Belangen auch die Umwelt angemessen berücksichtigt.
Der Genetiker Nikolai Windbichler, der in die molekularbiologischen Grundlagen des Themas einführte, sieht in Gene-Drives eine spezies-spezifische und effektive genetische Technologie, mit der zum Beispiel die Größe von Moskitopopulationen erheblich reduziert werden könnte oder die Insekten so modifiziert werden könnten, dass sie Krankheiten wie Malaria nicht länger übertragen. Entgegen manchen Befürchtungen stellte Windbichler klar, dass die Technologie "weder permanent noch unaufhaltbar" ist. Moskitos können auch gegen Gene-Drives Resistenzen ausbilden, ähnlich wie gegen Medikamente für Malaria. Außerdem wird an Möglichkeiten geforscht, Gene-Drives bei Bedarf zu neutralisieren.
Für Marc F. Schetelig, Spezialist für Insektenbiotechnologie im Pflanzenschutz, sind genetische Strategien des Schädlingsmanagements eine praktikable Alternative zu Insektiziden zur Bekämpfung von Insektenschädlingen. Gene-Drive-Anwendungen im Agrarsektor versprächen einen erheblichen Nutzen für Landwirte und breite Bevölkerungsschichten, der sich aber mangels Feldstudien noch nicht klar beziffern lasse.
Der Biologe und Technikfolgenforscher Arnim von Gleich machte zunächst klar, dass es im Fall von Gene-Drives noch zu früh sei, von Chancen und Risiken zu sprechen, bislang könne man nur Nutzenversprechen und Besorgnisgründe beurteilen. Eine prospektive Technikfolgenbewertung müsse - mit Blick auf die Eingriffstiefe - eine Charakterisierung der Technologie, eine Schwachpunktanalyse der Technologie und der Systeme, in die eingegriffen wird, sowie die Analyse der Einsatzziele und -kontexte vornehmen.
Die Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper erläuterte in ihrem Beitrag, weshalb die Öffentlichkeit in die entsprechenden Aushandlungsprozesse einbezogen werden sollte. Dabei gehe es nicht um Akzeptanzbeschaffung, so Diekämper, sondern darum, der Öffentlichkeit Räume zu schaffen, ihre nicht nur rational geprägten, sondern oft intuitiven, wertenden, emotionalen Meinungen zu artikulieren und die vorgebrachten Argumente ernsthaft zu diskutieren, weil Gene-Drive-Technologien einen Eingriff in den Lebensalltag eines jeden Einzelnen bedeuteten.
Die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser bezweifelte, dass die Bekämpfung von Hunger und Infektionskrankheiten die gezielte Ausrottung ganzer Arten rechtfertige. Denn selbst wenn man Gene-Drive für ein geeignetes und erlaubtes Mittel zur Realisierung eines legitimen Zwecks halte, bleibe aus strebensethischer Sicht die Frage, ob sein Einsatz auch wünschenswert sei. Eser zufolge gebe es jedenfalls gute Argumente, der gezielten Auslöschung von Arten durch Gene-Drive mit Zurückhaltung zu begegnen.
Der Agrarökonom Justus Wesseler unterzog die Gene-Drive-Technologie einer Kosten-Nutzen-Analyse und stellte die Anwendungs-, Forschungs- und Entwicklungskosten sowie die Folgekosten auf der einen Seite der Eindämmung von Krankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen sowie dem Artenschutz auf der anderen Seite gegenüber. So mag die Beseitigung von Überträgern wie der Malariamücke durch Gene-Drive zwar biologisch leichter umsetzbar sein als eine Kontrolle der Übertragung von Malaria, man müsse aber bedenken, dass dies schwer bezifferbare ökologische Folgekosten verursachen könne.
Die Völkerrechtlerin Silja Vöneky nahm die Lücken bestehender Normen im nationalen Recht, aber auch im Europa- und Völkerrecht in den Blick. Sie empfahl, internationale Normen zu ergänzen, um Gene-Drive-Experimente und deren Nutzung rechtlich einzuhegen.
Die abschließende Podiumsdiskussion unter Moderation des Juristen und Ratsmitglieds Steffen Augsberg befasste sich mit angemessenen Governance-Strategien. Die Malariaforscherin und DFG-Vizepräsidentin Katja Becker, der Vertreter der WHO Mathieu Bangert, der Veterinärmediziner Christoph Then und der Biochemiker Joachim Schiemann waren sich weitgehend einig darüber, dass die Öffentlichkeit in den gesellschaftlichen Diskurs einbezogen und internationale Regelungsansätze verfolgt werden müssen. Darüber hinaus soll die interdisziplinäre Forschung zum Thema Gene-Drive weiter vorangetrieben werden. Dabei sei das Vorsorgeprinzip, das in diesem Fall vor allem fordere, noch eingreifen zu können, wenn etwas schiefgeht, die oberste Maxime.
Die Beiträge der Herbsttagung können unter http://ots.de/egqYj nachgehört und in Kürze auch nachgelesen werden.
Quelle: Deutscher Ethikrat (ots)