Sieben Jahre nach Monster-Tsunami: Falsche Planung gefährdet indonesisches Küstenschutz-Konzept
Archivmeldung vom 21.12.2011
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Freigeschaltet durch Manuel Schmidt35 Meter hohe Flutwellen, Zerstörungen bis weit ins Landesinnere, 150.000 Tote allein in Indonesien: So die Bilanz des Monster-Tsunamis vom 26. Dez. 2004. Als neuen Schutz ließen die Regierung Indonesiens und internationale Hilfsorganisationen Schutzstreifen aus schnellwachsenden Gehölzen und Mangrovenwälder entlang der Küste pflanzen: Die Bäume sollen die Wucht künftiger Flutwellen abmildern. Doch die Bevölkerung untergräbt das Konzept – aus verständlichen Gründen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim. Ihr Lösungsvorschlag: Nutzbaum-Plantagen, die den Fischerdörfern ein Zusatzeinkommen bieten und barrierefreie Felder für die Flucht ins Hinterland.
Die Bevölkerung entlang der indonesischen Küste lebt überwiegend vom Fischfang und der Landwirtschaft. Nach dem großen Tsunami verlegte die Regierung in Zusammenarbeit mit internationalen Hilfsorganisationen ihre Siedlungen weiter ins Landesinnere, ließ Schutzwälle bauen und Schutzstreifen aus schnellwüchsigen Gehölzen und Mangrovenwälder pflanzen.
„Letzteres war falsch“, urteilt Prof. Dr. Georg Cadisch von der Universität Hohenheim. „Diese künstlichen Schutzstreifen trennen die Menschen von ihrer Lebensgrundlage, dem Meer, und bieten aber gleichzeitig keine Alternative.“ Die Folge: Langsam wachsen die Dörfer wieder dem Meer entgegen.
Der Agrarökologe hat nichts gegen Bäume als natürlichen Schutzwall. Aber: „Wirklich sinnvoll sind nur Bäume, die der Bevölkerung einen wirtschaftlichen Nutzen bringen.“ Für ihn und seinen Mitarbeiter Juan Carlos Laso Bayas kommen deshalb Kokos-, Kakao-, oder Kautschukplantagen in Frage. Davon könnten die Menschen leben und sie würden die Bäume dann auch pflegen.
Fluchtwege hinter dem Schutzwall müssen frei bleiben
Tatsächlich seien Schutzwälle aus Bäumen jedoch nur ein kleiner Baustein eines sinnvollen Gesamtkonzepts. „Unsere Modellrechnung zeigt, dass dadurch bei einem neuerlichen Riesen-Tsunami die Zahl der Todesopfer nur um drei bis acht Prozent sinkt“, erklärt Prof. Dr. Cadisch.
Um den Schutz der Bevölkerung noch zu erhöhen, müssten die Fluchtwege ins Landesinnere frei sein. Prof. Dr. Cadisch empfiehlt daher landeinwärts hinter den Dörfern keine Wälder, sondern offene Felder mit Nahrungspflanzen wie Reis oder Erdnüsse: „Die sind einfacher zu überwinden, wenn es schnell gehen muss.“
Ein gute räumliche Planung sei in solchen Fällen besonders wichtig: „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass dichte hohe Vegetation nicht nur Fluchtwege versperrt. Die umgeknickten Bäume spicken die Flutwelle auch noch mit Trümmerholz, das die fliehende Bevölkerung zusätzlich gefährdet“ erklärt Laso Bayas.
Frühwarnsystem bleibt unverzichtbar
Das aber könne nur funktionieren, wenn die Menschen lernten, die Zeichen der Natur richtig zu deuten. Das könne man aber nicht voraussetzen: „Die Bevölkerungszahl in den Küstenregionen wächst sehr schnell. Viele Menschen wandern aus anderen Gegenden zu“, zitiert Laso Bayas aus seinen Untersuchungen. „Die Zuwanderer wissen zu wenig über das Meer, um früh genug zu erkennen, ob ein Tsunami droht. Denn wenn sich die See zurückzieht, ist es oft schon zu spät.“
Ein Tsunami-Frühwarnsystem mit speziellen Bojen auf hoher See ist also trotz üppiger Küstenvegetation unverzichtbar für den Küstenschutz.
Quelle: Universität Hohenheim (idw)