Schluchten verschwinden durch flussabwärts fortschreitende Erosion
Archivmeldung vom 19.08.2014
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtVerwerfungen durch Erdbeben blockieren gerade in gebirgigen Gegenden häufig Flussläufe. Das angestaute Wasser schafft es aber stets, sich wieder einen Weg zu bahnen und schneidet sich einen Abfluss. Die dabei stattfindende Erosion des Gesteins löscht den anfänglichen, engen Einschnitt aus, von dem ursprünglichen Durchbruch bleibt keine Spur. Im Extremfall verschwindet die ganze Schlucht; übrig bleibt ein breites Tal mit einem flachen Flussbett. Bisher ging man davon aus, dass dieser Übergang von enger Schlucht zu breitem Tal im wesentlichen durch die Erosion der seitlichen Ränder der Schlucht vorangetrieben wird.
Ein Wissenschaftlerteam des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ hat jetzt einen neuen Mechanismus entdeckt, mit dem dieser fluviale Erosionsprozess vor sich geht (Nature Geoscience, 17.08.2014). Die Geoforscher untersuchten die Entwicklung einer Schlucht im Flusslauf des Da’an Chi in Taiwan über eine Periode von fast zehn Jahren. Dort hatte das Jiji-Erdbeben von 1999 (Magnitude M 7,6) eine quer zum Fluss verlaufende Verwerfung gebildet. Erdbeben ähnlicher Stärke ereignen sich hier alle 300 bis 500 Jahre. „Vor dem Erdbeben war kein Anzeichen einer Schlucht im anderhalb Kilometer breiten Flussbett zu sehen,“ erklärt Kristen Cook vom GFZ. „Wir haben dort die weltweit erste Echtzeitbeobachtung der Entwicklung der Breite einer Schlucht durch fluviale Erosion über mehrere Jahre beobachtet.“ Derzeit ist die Schlucht ist knapp einen Kilometer lang, 25 Meter breit und bis zu 17 Meter tief. Ihre Ränder wurden anfangs mit fünf Metern pro Jahr abgetragen, heute sind es immer noch anderthalb Meter pro Jahr.
Die Wissenschaftler identifizierten einen bis dahin unbekannten Mechanismus, mit dem die Schlucht zerstört wird. „Flussabwärts fortschreitende Erosion“ (Downstream Sweep Erosion) tauften sie den Prozess. „Notwendig für den Mechanismus ist ein verzweigtes Gerinne oberstrom der Schlucht“, erläutert der Mitautor der Studie Jens Turowski (GFZ). „Der Verlauf dieses Gerinnes verlagert sich regelmässig, und es muss, um in die Schlucht fliessen zu können, scharfe Kurven machen. In diesen Kurven prallt das Geschiebematerial, das der Fluss mit sich führt, auf die Oberkante der Schlucht und verursacht dadurch starke Erosion.“ Dieser Mechanismus spült so nach und nach das gesamte Gestein der Schlucht weg und ist damit Ursache für die Planierung des Flussbetts über die gesamte Breite des Tales. Mit der momentanen Abtragungsrate von 17 Metern pro Jahr wird es hier am Da’an Chi nur 50 bis 100 Jahre dauern, bis wieder ein flaches Gerinne die gesamte Talbreite füllt. Im Gegensatz dazu wäre die Seitenerosion in der Schlucht zu langsam, um die Schlucht innerhalb eines Erdbebenzyklus auszulöschen. Die jetzt entdeckte, flussabwärts fortschreitende Erosion ist entschieden effektiver.
Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ (idw)