Zum Abwehrrecht gegen Castor-Transporte
Archivmeldung vom 03.02.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas Bundesamt für Strahlenschutz erteilte im April 2003 einem Unternehmen die Genehmigung, bis einschließlich 31. Dezember 2003 unter Verwendung von Transport- und Lagerbehältern des Typs "CASTOR HAW 20/28 CG" maximal zwei Schienen- und zwölf Straßentransporte hochaktiver Glaskokillen aus einer Wiederaufbereitungsanlage zum Transportbehälterlager Gorleben durchzuführen.
Die Beschwerdeführerin legte als Miteigentümerin eines Wohnhauses, das ungefähr acht Meter von der Transportstrecke entfernt ist, Widerspruch gegen diese Genehmigung ein. Nach dessen Zurückweisung erhob sie Klage zum Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig ab, da die Beschwerdeführerin nicht klagebefugt sei. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.
Die 3. Kammer des Ersten Senats gab der Verfassungsbeschwerde statt, soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung wendet. Die Beschwerdeführerin ist durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, weil das Oberverwaltungsgericht den Zugang der Beschwerdeführerin zum Berufungsrechtszug in unzumutbarer Weise erschwert hat.
Die Verneinung ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Frage des drittschützenden Charakters von § 4 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AtG abschließend mit Argumenten verneint, die in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts keine Grundlage finden. Es hat das Urteil des BVerwG vom 22. Oktober 1982 (NJW 1983, S. 1507/1508), das die Anforderungen an die Klagebefugnis bei der Anfechtung immissionsschutzrechtlicher Vorbescheide für ortfeste Anlagen betrifft, unbesehen auf die atomrechtliche Beförderungsgenehmigung übertragen.
Dabei hat es verkannt, dass das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte spezifische Gefährdungspotential der Beförderung von Kernbrennstoffen eine andere Qualität hat, als die - der genannten Entscheidung des BVerwG zugrundeliegende - fortlaufende und dauerhafte Belastung der Umgebung bei ortsfesten Anlagen. Die Beschwerdeführerin hatte demgegenüber geltend gemacht, dass sich bei Nichteinhaltung des gebotenen Schutzstandards auch bei nur kurzzeitiger, aber massiver Strahlenexposition eine erhebliche Gesundheitsgefährdung und Eigentumsbeeinträchtigung für "Dritte" ergeben könne.
Das Bundesverwaltungsgericht hat für die Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, der zufolge eine atomrechtliche Anlagengenehmigung nur erteilt werden darf, wenn der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist, und für die gleichlautende Vorschrift des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG, die insbesondere für die Lagerung von Kernbrennstoffen in Standortzwischenlagern einschlägig ist, sowie für die Vorgabe der bestmöglichen Gefahrenabwehr gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG einen drittschützenden Charakter bejaht. Angesichts der Tatsache, dass § 4 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 5 AtG gleichlautend formuliert sind, drängt sich die Frage der Übertragbarkeit der für § 7 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 5 sowie § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG im Hinblick auf den Drittschutz geltenden Grundsätze geradezu auf, ohne dass es für die Frage der Zulassung der Berufung darauf ankäme, wie dies im Ergebnis zu entscheiden sein wird.
Die Frage, ob die Rechtsprechung des BVerwG zum Rechtsschutz "Drittbetroffener" gegen atomrechtliche Aufbewahrungsgenehmigungen (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 4 AtG) und Anlagengenehmigungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 AtG) auf die atomrechtlichen Beförderungsgenehmigungen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 AtG) zu übertragen sind, erfüllt auch die Voraussetzungen der Grundsatzbedeutung gemäß § 124 Abs. Nr. 3 VwGO.
Eine weitere Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wurde im Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 2594/06 aus den gleichen Gründen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung in der Sache zurückverwiesen.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht