Blick in das Herz eines gigantischen Sturms auf Saturn
Archivmeldung vom 20.05.2011
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtPlanetologen haben Beobachtungen mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO und der Raumsonde Cassini der NASA kombiniert und daraus ein unerreicht detailreiches Bild eines den gesamten Planeten Saturn umspannenden Sturms gewonnen. Die Ergebnisse des internationalen Teams erscheinen diese Woche in der Fachzeitschrift Science.
In der Atmosphäre des Planeten Saturn geht es normalerweise recht ruhig zu. Doch durchschnittlich einmal pro Saturnjahr, also etwa alle 30 irdischen Jahre, gerät die Saturnatmosphäre in Aufruhr: In den unteren Wolkenschichten des Planeten entsteht eine Störung, die so stark wird, dass sie den gesamten Planeten beeinflusst (eso9014). Das Phänomen tritt nur in der nördlichen Hemisphäre auf, wo zu der entsprechenden Zeit Frühling herrscht.
Der jüngste derartige Sturm konnte zuerst von einem Radiowellendetektor auf der Raumsonde Cassini [1] nachgewiesen werden, die sich seit 2004 in einer Umlaufbahn um den Saturn befindet. Seit Dezember 2010 verfolgen auch Amateurastronomen die Entwicklung des Phänomens. Nun konnte der Sturm gleichzeitig mit der Infrarotkamera VISIR [2] am Very Large Telescope (VLT) der ESO und dem CIRS-Instrument [3] an Bord von Cassini genauestens untersucht werden.
Seit 1876 konnten Astronomen insgesamt sechs derartige gigantische Stürme beobachten. Allerdings waren die Beobachtungsmöglichkeiten nie zuvor so günstig wie dieses Mal: Dieses Mal können die Astronomen erstmals Beobachtungen im mittleren Infrarot anstellen, einem Wellenlängenbereich, in dem Temperaturänderungen innerhalb des Sturms sichtbar werden. Und erstmals ist mit Cassini eine Raumsonde vor Ort, die den Sturm aus der Nähe studieren kann.
“Diesmal hat die Störung auf der Nordhalbkugel des Saturn einen riesengroßen, heftigen und komplexen Ausbruch von hell leuchtendem Wolkenmaterial erzeugt, das sich inzwischen so weit verteilt hat, das es den gesamten Planeten umringt”, erklärt Leigh Fletcher von der Universität Oxford, der Erstautor des Fachartikel, das die Ergebnisse der Studie zusammenfasst. “Wir hatten die großartige Gelegenheit, den Sturm gleichzeitig mit dem VLT und mit Cassini beobachten zu können. Alle früheren Untersuchungen solcher Stürme haben ausschließlich sichtbares Licht erfasst, nämlich das vom Saturn reflektierte Sonnenlicht. Mithilfe der Wärmestrahlung konnten wir diesmal viel tiefer in die Atmosphäre schauen und die gravierenden Temperaturänderungen und Windgeschwindigkeiten des Sturms messen.”
Der Sturm entsteht vermutlich in tief liegenden Wolkenschichten aus Wasserdampf. Ähnlich wie bei einem herkömmlichen Gewitter entsteht dort eine starke Luftströmung: So, wie in einem geheizten Raum die warme Luft nach oben steigt, drängen hier wärmere Gasmassen aus tiefer liegenden Schichten der Atmosphäre des Saturns nach oben und durchdringen dabei die sonst ruhigen äußeren Atmosphärenschichten. Die gewaltigen Störungen treten mit den dort herrschenden ostwärts und westwärts gerichteten Windströmungen in Wechselwirkung und führen zu merklichen Temperaturänderungen in den oberen Schichten.
“Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass der Stur einen deutlich nachweisbaren Einfluss auf die gesamte Saturnatmosphäre hat. Energie wird freigesetzt und zusammen mit den Gasmassen über große Strecken transportiert. Dabei werden die normalerweise vorherrschenden Windströmungen verändert und es entstehen sich windende Jetstreams und riesengroße Wirbel. Dadurch wird auch die jahreszeitliche Entwicklung der Saturnatmosphäre gestört”, ergänzt Glenn Orton vom Jet Propulsion Laboratory in Pasadena in den USA, ein weiteres Mitglied des Teams.
Die neuen Bilddaten des VLT-Instruments VISIR zeigen einige unerwartete Erscheinungen, darunter Phänomene, welche die Wissenschaftler auf den Namen „stratosphärische Leuchtfeuer“ getauft haben. Dabei handelt es sich um starke Temperaturschwankungen hoch in der Stratosphäre Saturns, die sich etwa 250-300 km über der Wolkendecke der unteren Atmosphärenschichten befinden und damit zeigen, bis in welch große Höhe die Auswirkungen des Sturms reichen. Die Temperatur in der Stratosphäre Saturns beträgt zu dieser Jahreszeit normalerweise etwa -130°C; die Leuchtfeuer dagegen sind 15-20 Grad wärmer.
Im reflektierten Sonnenlicht sind die Leuchtfeuer komplett unsichtbar. Für VISIR im mittleren Infrarot können sie stärker sein als die gesamte restliche Abstrahlung des Planeten. Da sie noch nie zuvor beobachtet werden konnten, sind sich die Planetologen nicht sicher, ob die Leuchtfeuer regelmäßig bei solchen Stürmen auftreten.
“Glücklicherweise hatten wir für Anfang 2011 sowieso Zeit für Saturnbeobachtungen von der ESO genehmigt bekommen. Diese Beobachtungen durften wir vorverlegen, um den Sturm nach seiner Entdeckung so schnell wie möglich beobachten zu können. Ein weiterer Glückstreffer war, dass Cassinis CIRS-Instrument den Strum zur selben Zeit ebenfalls beobachten konnte. Wir hatten also Bilder vom VLT und spektroskopische Daten von Cassini, die wir miteinander vergleichen konnten”, schliesst Fletcher. “Natürlich setzen wir unsere Beobachtungen dieses für unsere Generation wahrscheinlich einmaligen Ereignisses derzeit fort.”
Endnoten
[1] Die Cassini–Huygens-Mission ist ein Gemeinschaftsprojekt der NASA, der Europäischen Weltraumagentur ESA und der italienischen Weltraumagentur. Das Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena (Kalifornien), eine Abteilung des California Institute of Technology (Caltech), leitet die Mission für das Direktorat für wissenschaftliche Missionen der NASA in Washington, DC.
[2] VISIR, der VLT Imager and Spectrometer for the mid InfraRed ist ein eine Kombination aus Kamera und Spektrometer für das mittlere Infrarot. VISIR wurde von dem niederländisch-französischen Konsortium CEA/DAPNIA/SAP und NFRA/ASTRON gebaut.
[3] CIRS steht für Composite Infrared Spectrometer, eines der Instrumente an Bord von Cassini. CIRS ist ein Spektrograf, der Wärmestrahlung in einer Weise untersucht, die Rückschlüsse z.B. auf die chemische Zusammensetzung der beobachteten Materie erlaubt.
Weitere Informationen
Quelle: Max-Planck-Institut für Astronomie