Pfiffige Fische rund um Mallorca
Archivmeldung vom 19.05.2015
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtUm angesichts der weltweiten Überfischung der Ozeane den Zustand der Fischbestände abzuschätzen, werden häufig Fangdaten herangezogen. Die Annahme ist: Je weniger die Fischer in einer gewissen Zeitspanne fangen, desto kleiner der Bestand. Die Wissenschaftler Dr. Josep Alós und Prof. Dr. Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und der Humboldt-Universität zu Berlin konnten nun mittels Unterwasservideotechnik zeigen, dass bestimmte Fischarten in befischten Fanggründen viel schlechter an den Haken gehen als in Meerschutzgebieten, obwohl sich überall ähnlich viele Tiere tummeln. Das Ergebnis stellt das Fischbestandsmonitoring und die nach hohen Fängen strebenden Angler und Fischer vor Herausforderungen.
Mallorca ist gerade unter Deutschen als Urlaubsparadies beliebt. Dichtgepackt liegen die sonnenhungrigen Gäste an den Stränden oder genießen den Bootsausflug vor der Felsküste. Für die meisten unbemerkt vollzieht sich vor „Ballermanns Küste“ in der Fischwelt gleichzeitig ein interessantes Phänomen - ein Wettstreit zwischen schlauen Fischen und fanghungrigen Fischern ist entbrannt.
Im Rahmen eines von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts untersuchen der spanische Wissenschaftler Josep Alós in Kooperation mit dem Halbspanier und Fischereiprofessor Dr. Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und der Humboldt-Universität zu Berlin seit mehreren Jahren die mallorquinischen Kleinfischbestände. Konkret untersuchen die beiden Forscher, wie die Fische auf Befischung und Unterschutzstellung reagieren. Im Jahre 2013 stellten die Forscher unter Rückgriff auf standardisierte Angelmethoden fest, dass kleinräumige Meeresschutzgebiete im Vergleich zu stark von Anglern frequentierten Gebieten vermeintlich höhere Fischbestände und größere Fische beherbergen. Eine nun im renommierten Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences publizierte Folgestudie, die neben dem Angeln auch auf Unterwasservideos als Bestandserhebungsmethode zurückgriff, stellt dieses frühen Ergebnisse in Frage. Der Grund sind clevere Fische, die sich effektiv den Nachstellungen der Angler entziehen, ohne dass die Bestände rückläufig sind.
Wo viele Angler sind vermeidet der Schriftbarsch den Haken
Das Forscherteam untersuchte zwei mallorquinische Fischarten. Beide haben die gleiche Größe und denselben Lebensraum, unterscheiden sich jedoch in ihren Ernährungsgewohnheiten. Der Schriftbarsch ist ein Fleischfresser. Auf seinem Speiseplan stehen kleine Fische und Krebse, während sich die Ringelbrasse maßgeblich von nicht mobilen Algen und Muscheln ernährt. Die Brasse kann es sich also leisten, vorsichtig die vermeintliche Nahrung zu inspizieren. Für den Schriftbarsch wäre ein solches Verhalten evolutionärer Selbstmord – wartet ein Tier zu lange, schwimmt die Beute einfach davon. Das Resultat ist, dass der Schriftbarsch viel aggressiver ist als die Ringelbrasse, doch gibt es auch innerhalb der Arten unterschiedliche Charaktere, die sich besser oder schlechter fangen lassen. Und das hat Folgen für die Fänge der Angler.
Die Forscher untersuchten 54 Testgebiete. Diese wurden so ausgewählt, dass sie den gleichen Lebensraum wiederspiegeln, sich aber in der Intensität der Nutzung durch Angler unterscheiden. Die Wissenschaftler ermittelten mittels Videoaufnahmen, wie die Fische auf einen mit einem Köder bestückten Angelhaken reagieren. Um die Empfänglichkeit für Befischung zu beurteilen, maßen sie die Zeit vom Erscheinen des Fisches im Kameraausschnitt bis zum Biss an einem von fünf Ködern. Gleichzeitig wurden die Fische gezählt und so ihre Häufigkeit ermittelt.
Beim Schriftbarsch war ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen der Angelintensität in einem Gebiet und dem Verhalten gegenüber den Ködern nachzuweisen: Während die Schriftbarsche in Meeresschutzgebieten aggressiv die Köder attackierten, taten sie das in den befischten Gebieten kaum mehr. Die Ringelbrasse hingegen war in allen Testgebieten vergleichbar schlecht fangbar. Eine mögliche Erklärung ist, dass die aggressivsten Fleischfresser unter den Schriftbarschen mit der Zeit aus dem Bestand ausselektiert wurden und nur diejenigen überlebten, die Gene für Vorsichtigkeit in sich trugen. Diese konnten sich in der Folge ungestört vermehren und haben so zur fischereilichen Selektion auf „Unfangbarkeit“ beigetragen. Eine andere Erklärung ist schlicht die mit der Zeit gesammelte Einsicht, dass bestimmte Köder für die Fische gefährlich sind. Allerdings hätten dann auch die Ringelbrasse eine Verhaltensreaktion auf Beangelung zeigen müssen. Diese zeigten sich jedoch von der Befischung vollständig unbeeindruckt.
Die Fangraten bilden nicht den Zustand der Fischbestände ab
Obwohl die Fangrate der Schriftbarsche in den befischten Gebieten nur etwa halb so groß war wie in den Meeresschutzgebieten – unter Wasser tummelten sich in allen Gebieten ähnlich viele Fische. Die Meeresschutzgebiete hatten also höchstens eine Schutzfunktion für den Erhalt bestimmter Fischverhaltenstypen innerhalb einer Art, einen Effekt auf die Häufigkeit der Tiere hatten sie hingegen nicht, ganz im Gegensatz zu den Rückschlüssen der Forscher in ihrer ersten Studie aus dem Jahre 2013. Die Fangraten waren in den Schutzgebieten nur deswegen höher, weil die Schriftbarsche weniger scheu waren, nicht weil sie in Schutzgebieten häufiger waren. Die in den befischten Arealen verbliebenden Tiere schlugen dem angebotenen Haken schlicht ein Schnippchen.
„Die Ergebnisse lassen vermuten, dass in stark befischten Gebieten die Fangraten einiger Fische stark zurückgehen können, ohne dass die Fischbestände proportional sinken“, kommentiert der Erstautor Josep Alós. „Alarmierende Meldungen über dramatisch rückgehende Fischbestände im Zeitverlauf, die auf reinen Fangdaten beruhen, wie zum Beispiel aus der Langleinenfischerei bei Thunfischen, Dorschen oder Schwertfischen, könnten ihre Ursache auch in steigender Hakvermeidung der über mehrere Generation befischten Populationen haben. Wir müssen unsere Bestandserhebungsmethoden auf den Prüfstand stellen und das sich rasch anpassende Fischverhalten in die Studienschlussfolgerungen einbeziehen. Vielleicht beherbergen befischte Gebiete mehr Fische als wir manchmal glauben“, so das Fazit von Professor Dr. Robert Arlinghaus.
Quelle: Forschungsverbund Berlin e.V. (idw)