Freisetzung transgener Insekten beruht auf unvollständig veröffentlichten Daten
Archivmeldung vom 04.02.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittGenetisch veränderte Pflanzen werden in manchen Gebieten der Erde bereits in großem Stil angebaut. Die Freisetzung genetisch modifizierter Tiere ist dagegen noch vergleichsweise selten. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön haben nun Freisetzungsversuche genetisch veränderter Insekten in den USA, Malaysia und den Kaiman-Inseln untersucht. Dabei traten Mängel bei der wissenschaftlichen Qualität der Zulassungsunterlagen zu Tage. Zudem sind der Öffentlichkeit angemessene Verfahrensbeschreibungen nicht vor Beginn der Freisetzungsversuche zugänglich. Die Forscher fordern die grundsätzliche Veröffentlichung der Zulassungsunterlagen und öffentlich verfügbare Verfahrensbeschreibungen vor dem Start von Freisetzungsexperimenten. Zudem stellen sie eine Checkliste zur Verfügung, mit der die wissenschaftliche Qualität von Zulassungsunterlagen abgeschätzt werden kann.
Genetisch veränderte Insekten werden bislang versuchsweise gegen Überträger von Infektionskrankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber sowie gegen Pflanzenschädlinge eingesetzt. Sie sollen die Verbreitung ihrer wildlebenden Artgenossen begrenzen. Bislang wurden verschiedene Insektenarten freigesetzt, die einen Fluoreszenzfarbstoff bilden, die eingeschränkt oder gar nicht fruchtbar sind oder beides.
Das Wissenschaftler-Team des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie hat sich in seiner Studie auf die Zulassungsverfahren in den ersten drei Ländern konzentriert, in den genetisch veränderte Insekten in die Umwelt freigesetzt wurden: Moskitos auf den Kaiman-Inseln (2009-?) und in Malaysia (2010-2011) sowie Falter in den USA (2001-2011). Besonderes Augenmerk richteten die Forscher dabei auf das amerikanische Zulassungsverfahren, das wegen seiner Vorreiterrolle weltweit modellhaften Charakter besitzt.
Mangelhafte Transparenz
Amerikanische Behörden haben 2008 das erste Gutachten zur Umweltverträglichkeit von genetisch modifizierten Insekten erstellt. Es dient seitdem als Referenz für die Zulassung aller folgenden Freisetzungsversuche weltweit. Die Plöner Wissenschaftler bemängeln jedoch die wissenschaftliche Qualität des amerikanischen Gutachtens: So beruht die positive Einschätzung auf lediglich zwei – von insgesamt 170 aufgeführten – wissenschaftlichen Studien. Diese berücksichtigten wiederum nur eine der vier im Gutachten aufgeführten Insektenarten.
Diese Mängel betreffen aber offenbar nicht nur die USA, sondern alle Länder, in denen bislang genetisch veränderte Insekten freigelassen wurden. „Wir haben festgestellt, dass weltweit die Öffentlichkeit nur sehr begrenzt Zugang zu den wissenschaftlichen Informationen über diese Freisetzungsversuche hat, vor allem Informationen im Vorfeld eines Versuchs“, sagt Guy Reeves vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie.
Auf den Kaiman-Inseln wurden 2009 zum ersten Mal genetisch veränderte Moskitos freigelassen. Es war jedoch fraglich, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür ausreichten. Es stellte sich heraus, dass die Kaiman-Inseln keinerlei geltenden Gesetze zum Transport und zur Freisetzung genetisch modifizierter Lebewesen besaßen. Für die durch die Freisetzung betroffene Bevölkerung stellt sich die Frage, ob Menschen von genetisch veränderten Mücken gestochen werden können. In den Informationsbroschüren wird dies entweder ignoriert, oder es wird darauf verwiesen, dass ausschließlich männliche Moskitos freigelassen werden, die nicht stechen können. Den Erkenntnissen der Wissenschaftler zufolge ist es jedoch durchaus wahrscheinlich, dass Menschen auch von transgenen weiblichen Mücken gestochen wurden, denn die freigesetzten Männchen sind nur teilweise unfruchtbar.
Zustimmung der Bevölkerung setzt Transparenz voraus
Die fehlende Aufklärung im Vorfeld der Experimente verhindert, dass die betroffenen Menschen miteinbezogen werden. „Wenn es keine genaue Beschreibung der Experimente gibt, kann von einer Einbeziehung der Bevölkerung keine Rede sein. Sollten zudem nicht alle Alarmglocken bei den finanziell beteiligten Institutionen läuten, wenn behauptet wird, die Bevölkerung sei mündlich aufgeklärt worden?“, fragt Reeves. Wenn die Verantwortlichen für die Versuche keine Verfahrensbeschreibungen beibringen können, sollten sie begründen, warum eine Miteinbeziehung und Zustimmung der Bevölkerung nicht erforderlich ist, wenn transgene Tiere in Kommunen und Städten freigelassen werden. Wer sich dabei auf die Dringlichkeit dieser neuen Technologie beruft, muss dann auch erklären, warum dieses Argument nicht für Studien zu Impfstoffen gilt.
In den letzten zwei Jahren ist die Zahl der Freisetzungsexperimente genetisch veränderter Insekten stark angestiegen. Neben den USA, Malaysia und den Kaiman-Inseln wurden transgene Insekten auch in Brasilien in die Umwelt entlassen. In vielen weiteren Ländern sind ebenfalls Feldversuche geplant, darunter Frankreich, Guatemala, Indien Mexiko, Panama, Phillipinen, Singapur, Thailand, Vietnam und Großbritannien.
Angesichts der enormen Problem, die Infektionskrankheiten wie das Dengue-Fieber oder der Ernteausfall durch Schädlinge aufwerfen, können genetisch veränderte Insekten von großem Nutzen sein. Freisetzungsversuche sind ein notwendiger Schritt, die Folgen auf die Umwelt abzuschätzen. „Nur eine ausreichend informierte Öffentlichkeit wird solchen Test aufgeschlossen gegenüber stehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Akzeptanz für diese potenziell so nützliche Technologie verloren geht. Ohne die Veröffentlichung qualitativ hochwertiger wissenschaftlicher Daten vor der Freisetzung, wird der Einsatz transgener Tiere nicht erfolgreich sein“, warnt Reeves. Die Verantwortlichen sollten deshalb unbedingt so fragwürdige Praktiken, wie sie bei der Entwicklung transgener Pflanzen vorkamen, vermeiden.
Die Max-Planck-Wissenschaftler haben aus diesem Grund eine Checkliste erstellt und im Internet veröffentlicht. Damit können auch Nicht-Wissenschaftler beurteilen, ob die Zulassung eines Freisetzungsexperiments auf solider wissenschaftlicher Basis erfolgt.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)