Teamwork in den Tropen – Bestäuber und Fruchtfresser sind am Äquator wenig wählerisch
Archivmeldung vom 14.09.2012
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Freigeschaltet durch Manuel SchmidtDer leuchtend karmesinrote Andenfelsenhahn frisst die Früchte von mehr als 100 Pflanzenarten und verbreitet deren Samen. Damit befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch andere samenausbreitende Vögel und bestäubende Insekten sind – im Gegensatz zur bisherigen Lehrmeinung – in den Tropen weniger auf einzelne Pflanzen spezialisiert als ihre Gegenparts in den gemäßigten Breiten. Dies zeigt eine Studie einer internationalen Forschergruppe, die heute im Fachmagazin „Current Biology“ erschienen ist. Ökosystem-Funktionen wie Bestäubung und Samenausbreitung würden in den Tropen demnach durch den Verlust einzelner Arten weniger beeinträchtigt als in den gemäßigten Breiten.
Für Bienen und Pflanzen ist das Zusammenleben ein Win-Win-Geschäft: Die Biene profitiert vom Nektar der Pflanze, im Gegenzug bestäubt sie die nächste besuchte Blüte mit Pollen. Einen ganz ähnlichen Effekt findet man bei fruchtfressenden Vögeln, die nebenbei auch die Pflanzensamen verbreiten. In einem Ökosystem gibt es sehr viele solcher mutualistischer Wechselbeziehungen zwischen Arten, die zusammen ein komplexes Netzwerk bilden. Wissenschaftler haben dieses „Wer mit Wem?“ nun in einer weltweiten Studie analysiert und herausgefunden, dass in Richtung Äquator die Spezialisierung von Bestäubern und Samenausbreitern auf einzelne Nahrungspflanzen abnimmt.
Unerwartetes Ergebnis: Spezialisten eher in gemäßigten Breiten
Das ist einigermaßen überraschend, denn seit Darwin war man davon ausgegangen, dass sich in den Tropen viele bestäubende Insekten und samenausbreitende Vögel auf einen kleinen Teil der vorhandenen Pflanzenarten spezialisiert haben. Diese Ko-Evolution gegenseitiger Spezialisierung war bislang eine wichtige Erklärung dafür, dass in den Tropen mehr Arten leben als in den gemäßigten Breiten. „Die Ergebnisse unserer globalen Analyse widerlegen die Annahme, dass Lebensgemeinschaften in den Tropen grundsätzlich spezialisierter sind als solche in den gemäßigten Breiten.", so Matthias Schleuning und Jochen Fründ, die Leitautoren der Studie vom Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und der Universität Göttingen.
Generalisierung als Antwort auf die Pflanzenvielfalt
„Unsere Studienergebnisse zeigen auch, dass Spezialisierung zwischen Tier- und Pflanzenarten eher eine Folge der aktuell vorhandenen Ressourcen ist als das Ergebnis langfristiger Anpassungsprozesse“, erklärt Schleuning weiter. Dies wird durch einen weiteren Befund der Studie untermauert: Gegenwärtige Klimabedingungen und die Pflanzenvielfalt in einem Ökosystem haben demnach mehr Einfluss auf die Wechselbeziehungen zwischen Tieren und Pflanzen als frühere Klimaschwankungen. „Eine einfache Erklärung für die Generalisierung in den Tropen könnte darin liegen, dass die große tropische Pflanzenvielfalt für die Tiere viele verschiedene Ressourcen in geringer Dichte bietet. Wer nicht besonders wählerisch ist, hat Vorteile, denn dann ist der Weg zur nächsten Nahrungsquelle nicht so weit und die Nahrungsaufnahme wird effizienter", so Fründ.
Ökosystem-Funktionen in den Tropen vermutlich robuster
Vorteile hat die Generalisierung in den Tropen auch für die Pflanzen, denn sie sind besser risikoversichert – wer gleich von mehreren Tierarten angeflogen wird, für den verringert sich das Risiko auszusterben, wenn einzelne Bestäuber oder Samenausbreiter verschwinden oder selten werden. „Daher vermuten wir, dass bestimmte Ökosystem-Funktionen wie Bestäubung und Samenausbreitung in den Tropen weniger anfällig gegen Störungen sind als in den gemäßigten Breiten. Aufgrund der generalisierten Beziehungen und des höheren Artenreichtums können mehr Arten die Funktionen von einzelnen rückläufigen Arten ersetzen“, so Nico Blüthgen, der Initiator der Studie von der TU Darmstadt. Dass solche Störungen im Beziehungsgefüge zwischen Tieren und Pflanzen sogar beträchtliche wirtschaftliche Auswirkungen haben können, zeigt das aktuelle Bienensterben in den USA, das besonders dort zu hohen Kosten führt, wo alternative Bestäuber fehlen.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen (idw)