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Brasilien: Wasserkraft ist Todesurteil für Amazonas

Archivmeldung vom 20.11.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.11.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Amazonas-Regenwald: Wasserkraft bedroht die grüne Lunge der Welt. Bild: DKA/Eichelmann
Amazonas-Regenwald: Wasserkraft bedroht die grüne Lunge der Welt. Bild: DKA/Eichelmann

Der Boom an geplanten Wasserkraftwerksbauten in Brasilien ist drauf und dran, den gesamten Amazonas-Regenwald zu vernichten. Internationale Konzerne profitieren davon kurzfristig, während die Bevölkerung und die Natur dafür bezahlen. Davor warnen Leonardo Bauer Maggi und Iury Charles von der Bewegung der Staudamm-Betroffenen Brasiliens MAB im Gespräch mit pressetext.

Aktueller Anlass ist die Verleihung des alternativen Nobelpreises an den austro-brasilianischen Bischof Erwin Kräutler, der zu den prominentesten Kritikern des Ausbaus der brasilianischen Wasserkraft zählt. Kräutler hat unlängst im Interview mit pressetext das Dammprojekt "Belo Monte" am Xingu-Fluss als "Dolchstoß für den Amazonas" bezeichnet. Im Vorfeld der Auszeichnung hat die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar die beiden MAB-Sprecher nach Österreich eingeladen.

Eldorado der Konzerne

Brasilien ist schon heute nach China und Kanada drittgrößter Produzent von Strom aus Wasserkraft mit einem Weltanteil von einem Zehntel. 60 Prozent davon stammen aus dem Amazonas. Geht es nach der frisch gewählten Präsidentin Dilma Rousseff, die unter Amtsvorgänger Lula da Silva Energieministerin war, so soll die Wasserkraft zur Triebfeder von Brasiliens Wirtschaftsboom werden. 70 zusätzliche Wasserkraftwerke sind in Amazonien derzeit geplant. Bis 2030 sollen es laut Bauer Maggi 2500 Staudämme mehr werden - 1450 davon zur Energieerzeugung, der Rest für die künstliche Bewässerung der Agrarindustrie.

Die Wirtschaftskrise hat diese Entwicklung beschleunigt, erklärt der Aktivist. "Die Konzerne modernisieren ihre Produktionsstätten und suchen billigere Alternativen zu fossilen Treibstoffen. Der günstigste Strom ist für sie jener aus Wasserkraft." Deren Nutznießer ist in erster Linie die exportorientierte Industrie wie etwa Aluminium-, Stahl- und Zellulosewerke. Auch alle großen Autohersteller sind bereits mit Produktionsanlagen in Brasilien vertreten. Da Wasserkraft als CO2-freundliche Alternativenergie gilt, kann Brasilien dank ihr sogar Emissionspapiere verkaufen.

Katastrophe für Mensch und Natur

"Die Rechnung stimmt so jedoch nicht", warnen Bauer Maggi und Charles. Fast geschenkt erhält den Wasserkraft-Strom nur die Industrie. Privathaushalte, die nur 22 Prozent der Energie verbrauchen, bezahlen einen bis zu zehnmal höheren Preis - den fünfthöchsten Stromtarif der Welt. Zudem haben viele Brasilianer noch keinen elektrischen Strom. "Das größte soziale Problem sind jedoch Vertreibungen durch Kraftwerksbauten", so Bauer Maggi. Brasilien hat schon heute eine Million Vertriebene, von denen nur jeder Dritte für die Enteignung jemals eine Einmal-Entschädigung von umgerechnet 100 Euro bekam. "Die Dämme haben mehr Leute von ihrem Grund und Boden vertrieben als durch die viel diskutierte Landreform Land erhielten."

Noch weiter dürften jedoch die Umweltschäden reichen, die im Schlepptau des Wasserkraft-Ausbaus und der Unterbrechung der Wasserkreisläufe bevorstehen. "Man sagt, der Kapitalismus frisst seine Kinder. In diesem Fall ist das Opfer die Mutter Natur des Amazonas-Regenwaldes, dem die Kraftwerke ein Ende bereiten", schildert Bauer Maggi. Alle Ressourcen würden schrittweise ausgebeutet - durch den Energiesektor, die Privatisierung des Wassers und in Folge des logistischen Anschlusses durch Straßen- und Zugsverbindungen. "Gibt es gute Verbindungen ins Zentrum des Amazonas, so öffnet das die Türe weiter für Bioethanol-Plantagen, Bergbauunternehmen und die industrielle Landwirtschaft."

Belo Monte hat hohen Symbolwert

Das von Bischof Kräutler besonders kritisierte Staudamm-Projekt "Belo Monte" am Xingu-Fluss hat immensen Symbolwert für die Politik, erklärt Bauer Maggi. "Das ist nicht nur wegen des jahrzehntelangen Widerstandes der Lokalbevölkerung. Die Infrastruktur für seinen Betrieb ist Voraussetzung für die industrielle Nutzung der anderen Amazonas-Zuflüsse weiter westlich." Belo Monte würde nach der Fertigstellung nur einen Effizienzgrad von zehn Prozent erreichen. Für einen rentablen Betrieb sind mindestens zwei weitere Staudamm-Neuerrichtungen im Oberlauf des Xingu-Flusses notwendig.

Kräutler und auch die beiden Sprecher der Betroffenen-Bewegung kämpfen weiter um die Verhinderung der Energiepläne. Dazu gehört die lokale Vernetzung der Staudamm-Leidtragenden, deren juristische Unterstützung und das internationale Anprangern der Betreiber, erklärt Bauer Maggi. "Denn die Profiteure der Wasserkraft sitzen nicht in Brasilien, sondern in den Industrieländern des Nordens. So hofft etwa die österreichische Andritz, die deutsche Voith oder die französische Alstom Hauptanwärter auf eine Beteiligung an den aktuellen Projekten."

Erbe der Welt

Europa muss sich der Bedeutung der Erhaltung des Amazonas-Regenwaldes bewusst werden, so der Aktivist. "Der Amazonas gehört nicht Brasilien, sondern ist Teil des Welterbes. Der Kampf gegen Belo Monte und seine Folgeprojekte ist somit Angelegenheit der ganzen Welt."

Quelle: pressetext.redaktion Johannes Pernsteiner

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