Aktionsbündnis Grünzug Salem: Neues Gewerbegebiet kostet Frischluftzufur und fruchtbares Ackerland
Archivmeldung vom 16.06.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićRechtzeitig zur Ausschusssitzung des Regionalverbandes am Mittwoch hat das Aktionsbündnis Grünzug Salem einen offenen Brief an die Mitglieder des RVBO geschickt. Darin zeigen die Aktiven auf, welche Konsequenzen das geplante Vorranggebiet für den Klimaschutz und die Landwirtschaft haben. Die im neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag festgeschrieben Klimaziele sind nicht erreichbar, wenn ausgerechnet der geschützte Grünzug, der ein zentrale Funktion für die Belüftung des Salemer Tals hat, dem Gewerbegebiet zum Opfer fällt, erläutert Fritz Vogel in der vorliegenden Pressemitteilung des Aktionsbündnises.
Weiter heißt es in der Pressemitteilung: Zudem verlören die Landwirte beste Böden und würden durch die notwendigen Ausgleichsflächen ein zweites Mal belastet, fügt Silke Ortmann hinzu. Das Aktionsbündnis Grünzug Salem ist für eine Diskussion mit den Mitgliedern offen und hofft auf einen sachlichen Austausch. Erste Rückmeldungen einzelner Verbandsmitglieder stimmen optimistisch.
Weiter veröffentlicht das Aktionsbündnis Grünzug Salem den folgenden offenen Brief an die Mitglieder des Regionalverandes vom 13.06.2021:
Ihre Abstimmung in der Regionalversammlung
zur Fortschreibung des Regionalplans Bodensee-Oberschwaben
Sehr geehrte Damen und Herren der Regionalversammlung,
wir schreiben Ihnen heute als Mitglieder des „Aktionsbündnisses Grünzug Salem“, einem
breiten Bündnis aus Salemer Bürgerinnen und Bürgern sowie diversen Organisationen u. a.
dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband BLHV Salem sowie dem BUND Salem,
das für den Erhalt des geschützten Grünzugs und gegen die Ausweisung des Schwerpunkts
für Industrie und Gewerbe mit 27,2 ha in Salem-Neufrach eintritt.
Ein großer Teil der Bevölkerung, ebenso wie die Parteispitze der Bundes-CDU sowie die grünschwarze Koalition in Baden-Württemberg haben die Dringlichkeit erkannt, Maßnahmen
zum Klimaschutz zu beschleunigen, diese in ihre Aufgabenliste übernommen und nach dem
Urteil des BVG begonnen, quantitativ messbare Ergebnisse festzulegen.
Der Generationengerechtigkeit soll entsprochen werden, indem der Zeitraum bis zur CO2-Neutralität um fünf
Jahre nach vorne auf 2045 verschoben wurde. Dieser Zeitraum entspricht in etwa der voraussichtlichen Laufzeit des neuen Regionalplans. International häufen sich Klimaurteile
gegen Unternehmen, deren Profitstreben weiterhin einseitig auf ungebremsten Ressourcenverbrauch abzielt. Die Kosten für CO2-Kontingente steigen und zwingen Industrie- und
andere Betriebe zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise.
Häufig sind Sie oder die anderen gewählten Verbandsmitglieder Bürgermeister*innen oder
haben eine andere Funktion in einem Gemeinderat oder Kreistag inne. Daraus ergibt sich aus
unserer Sicht die Verantwortung für das Wohlergehen der jetzigen Generation genauso wie
für die Sicherung der Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen. Der Fokus wurde in
vergangenen Zeiten v.a. auf den Bereich Wirtschaftswachstum gelegt. Doch ein Wirtschaftswachstum „auf Pump“ können wir uns nicht mehr leisten. Auch ist absehbar, dass die Reparaturleistungen, die durch aktuelle Naturzerstörung und den weiteren Anstieg der
menschengemachten Klimaüberhitzung erforderlich werden, ein Vielfaches höher sein
werden als jeder kurzfristige Gewinn ökonomischer Art.
Nach unseren intensiven Studien der Unterlagen des RVBO erscheint es uns äußerst wichtig,
auf die aus unserer Sicht mangelhafte Gewichtung der Umweltgüter gegenüber der geplanten überdimensionierten/großzügigen Flächeninanspruchnahme durch Industrie und Gewerbe hinzuweisen. Wir sind uns bewusst, dass der Regionalplan in vielen Bereichen Mängel
aufweist und es inzwischen in der gesamten Region ca. 40 Initiativen gegen die geplante
Fortschreibung gibt. Wir möchten aber heute Ihren Blick auf die spezielle Situation in Salem
und da insbesondere auf den Grünzug zwischen Neufrach und Buggensegel lenken:
Laut Klimafibel und Klimagutachten des RVBO handelt es sich bei dem genannten Gebiet um
eine Frischluftschneise.
Das Bodenseebecken gehört nach Angaben des Klimaatlas‘ Baden-Württemberg zu den am
schlechtesten belüfteten Regionen. Daher ist ein Zufluss von Kaltluft über die Flusstäler in
der Region von übergeordneter Bedeutung für diesen Verdichtungsbereich.
Während der Vorstellung des Regionalplans wurde von Verbandsdirektor Franke immer wieder auf das klimakritische Schussental hingewiesen, dessen Kaltluftbewegungen sich zum
Bodensee hin ausrichten und die auf keinen Fall durch weitere Siedlungsbereiche blockiert
werden dürfen. Das Salemer Tal ist genauso betroffen. Im Klimagutachten des RVBO
REKLIBO Band 2 werden als wichtige Kaltluftbecken das Schussental, das Salemer Tal und das
Wilhelmsdorfer Becken erwähnt.
Im Band 3 des Gutachtens steht ausdrücklich:
„Im Mündungsbereich des Deggenhauseraachtals befinden sich auf
engem Raum die Siedlungskörper von Stefansfeld, Neufrach und
Mimmenhausen, außerdem das Gewerbegebiet um den Bahnhof
Salem. Diese stark versiegelten Flächen durchziehen das Becken hier
auf seiner ganzen Breite und bilden eine Art künstlichen Querriegel.“
Die Behinderung des Kaltluftstroms würde durch die Erweiterung des Industriegebiets noch
einmal signifikant verstärkt werden. Das widerspricht der Vorsorgefunktion eines Regionalplans (vgl. Handlungshilfe “Klimawandelgerechter Regionalplan” von 2017).
Nach der Darstellung in Band 1 hat die Region um Salem eine hohe Tageszahl an Talnebellagen. Daher ist eine gute Durchlüftung umso wichtiger, zumal Salem nur über schwache
mittlere Windgeschwindigkeiten verfügt und eine hohe Tageszahl mit Wärmebelastungen
ausweist.Das bereits bestehende
Gewerbegebiet fungiert
als großer Wärmespeicher, der nachts
Wärme abstrahlt und die
Kaltluftströme von den
Hängen behindert.
Dadurch kühlt die Luft in
den umliegenden Teilorten nachts nicht mehr
ausreichend ab. Somit stellt sich die Frage, warum Grünzüge, gerade in sensiblen Gebieten,
in denen die Begründung für ihre Ausweisung in besonderem Maße gilt, aufgehoben werden
dürfen, ohne dass neuere Gutachten plausibel belegen, warum der Schutzstatus entfallen
kann.
Zusätzlich zum Schutzgut „Klima“ sind weitere Schutzgüter erheblich betroffen, so dass der
zugrundeliegende Umweltplan zu folgendem Ergebnis kommt:
Ergebnis der
Umweltprüfung: Das Vorhaben führt zu einer besonders erheblichen oder zu
mehreren erheblichen Beeinträchtigungen von
Schutzgütern.
Die Situation stellt sich aus Sicht der Landwirte und Landwirtinnen nicht weniger prekär
dar: Unsere Landwirte leiden schon lange unter schwierigen Betriebsbedingungen: stark steigenden Pachtpreisen, längeren Anfahrtswegen zu den Feldern, zunehmende Zersplitterung
der zu bewirtschaftenden Böden. Zusätzlich würden den Betrieben mit der Versiegelung von
weiteren 27 ha nicht nur sehr ertragreiche Böden entzogen, sondern sie werden weitere Flächen „opfern“ müssen, um den Bedarf an vorgeschriebenen Ausgleichsflächen bei baulichen
Eingriffen zu befriedigen. Hier wird einfach Wirtschaft gegen Landwirtschaft ausgespielt,
ohne zu berücksichtigen, dass das in Rede stehende Gebiet bereits ökonomisch sinnvoll und
mit nachhaltigem Ertrag genutzt wird.
Dies durch Industriebetriebe zu ersetzen, deren Nachhaltigkeit und Rentabilität im Vorfeld noch völlig unklar sind, und weitere Industriebrachen zu riskieren, ist auch ökonomisch nicht zielführend.Wir sind der Meinung, dass auch die mangelnde Verkehrsanbindung sowie die klimatischen Bedingungen und die Situation unserer Landwirtschaft eine Ausweisung Salems als VRG für Industrie und Gewerbe der Zielsetzung des LEP zuwiderläuft und nicht weiterverfolgt werden sollte. Die geplante Aufgabe des geschützten Grünzuges konterkariert die Klimaziele der Bundes- und der Landesregierung. Im vorgelegten Regionalplanentwurf vermissen wir insgesamt und nicht nur im Hinblick auf Salem einen zukunftsweisenden, nachhaltigen Umgang mit unseren Lebensgrundlagen. Schauen wir auf das gesamte Planungsgebiet, so summiert sich eine Vielzahl an kritischen Einwendungen: Ein Verbund aus ca. 40 Vereinen und Bürgerinitiativen der drei Landkreise, namens „Aktionsbündnis für einen zukunftsfähigen Regionalplan Bodensee-Oberschwaben“ ist mit uns der Meinung, dass mit dem aktuellen Planentwurf das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5° zu beschränken, nicht ansatzweise zu verwirklichen ist. Im Sinne unserer Kinder bitten wir Sie: Lassen Sie das nicht zu und stimmen Sie gegen den Regionalplan in der jetzt vorgelegten Form! Falls Sie doch für den Regionalplan in der vorliegenden Form stimmen werden, bitten wir Sie in Ihrer Funktion als gewählte Entscheidungsträger, uns Ihre Entscheidung zu begründen. Wir würden uns sehr über eine Antwort freuen. Mit freundlichen Grüßen.
Quelle: Aktionsbündnis Grünzug Salem