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Krimi um Brunsbüttel-Schwachstellenliste geht in die entscheidende Phase

Archivmeldung vom 27.03.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.03.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Jens Brehl

Seit fast sechs Jahren wird der fragwürdige Sicherheitszustand des Atomkraftwerks Brunsbüttel von den Stromkonzernen Vattenfall und E.ON in enger Abstimmung mit der Atomaufsicht des Landes Schleswig-Holstein vor der Öffentlichkeit geheim gehalten.

Gleichzeitig soll Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf Antrag des Reaktorbetreibers Vattenfall den Betrieb des 30 Jahre alten Siedewasserreaktors sogar über die im Atomkonsens vereinbarte Betriebsdauer hinaus verlängern, ohne dass zuvor Klarheit über die Sicherheitsmängel geschaffen wird. Auf diese "ebenso einmalige wie skandalöse Situation" hat der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Rainer Baake, heute in Kiel hingewiesen.

Die Umweltorganisation bemüht sich seit August letzten Jahres um die Herausgabe einer "Schwachstellenliste", die auf eine Ende Juni 2001 abgeschlossene so genannte periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) des Atomkraftwerks Brunsbüttel zurückgeht. Die für die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass noch immer "hunderte offener Punkte" nicht abgearbeitet worden seien. Trauernicht stimmte im November 2006 zwar zunächst der von der DUH auf Basis der EU-Umweltinformationsrichtlinie beantragten Einsichtnahme in die Liste grundsätzlich zu, wies jedoch anschließend den Antrag der Umweltschützer auf sofortige Vollziehung dieser Entscheidung zurück. Seither will die DUH die Herausgabe der Mängelliste vor Gericht erzwingen. Ein entsprechender Antrag steht derzeit beim Oberverwaltungsgericht Schleswig zur Entscheidung an. Gleichzeitig klagt Vattenfall als Betreiber des AKW Brunsbüttel unter Hinweis auf angebliche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse gegen die Herausgabe der Liste.

"Die Tatsache, dass der Vattenfall-Konzern hoch dotierte Anwaltskanzleien statt der eigenen Rechtsabteilung engagiert, um die Herausgabe der Schwachstellenliste zu verzögern, ist nicht gerade ein Beleg für die Harmlosigkeit der darin enthaltenen Mängel", sagte Baake. Dafür, dass Vattenfall die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein über den wahren Sicherheitszustand im Unklaren lassen wolle, spreche jedoch nicht nur das verbissene juristische Vorgehen gegen das Auskunftsbegehren der DUH, sondern auch die beantragte Übertragung von Strommengen aus dem Kontingent des stillgelegten RWE-AKW Mülheim-Kärlich auf das AKW Brunsbüttel. "Hätte Vattenfall eine Strommengenübertragung von einem noch betriebenen AKW, etwa dem eigenen AKW Krümmel beantragt, so hätte der Bundesumweltminister eine vergleichende Überprüfung des Sicherheitszustandes der beiden Reaktoren durchgeführt. Durch die Art der Antragstellung versucht Vattenfall einer Debatte über die Sicherheitsdefizite in Brunsbüttel zu entgehen", erläuterte Baake, der während seiner Zeit als Umweltstaatssekretär der rot-grünen Bundesregierung den Atomkonsens mit den Unternehmen ausgehandelt hatte.

Auch im aktuellen Verfahren um die Schwachstellenliste will Vattenfall vor allem eine weitere öffentliche Diskussion über die Sicherheitsdefizite des Siedewasserreaktors an der Elbe verhindern. "In diesem Verfahren wird verzögert und vernebelt mit dem einzigen Ziel, die Öffentlichkeit über den wahren Sicherheitszustand dieses ältesten Siedewasserreaktors in Deutschland im Unklaren zu lassen und die von der Stromwirtschaft und ihren Lautsprechern in der Politik angezettelte Kampagne zur Aufkündigung des Atomausstiegs nicht zu stören", erklärte Cornelia Ziehm, die Leiterin Verbraucherschutz und Recht der DUH. Bisher habe Vattenfall nicht einmal versucht, seine Behauptung, die Liste berühre Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, konkret zu belegen. Vielmehr begründe der Konzern die Geheimhaltung der Mängelliste vor Gericht mit dem Argument, sie erlaube eine Bewertung des aktuellen Anlagenzustandes und lasse so Rückschlüsse auf Nachrüstungserfordernisse, fehlende Sicherheitsnachweise und damit den Wert der Anlage zu. Vattenfall würde deshalb bei einem möglichen Verkauf der Anlage ein wirtschaftlicher Schaden entstehen, da ein potenzieller Käufer durch die Veröffentlichung der Liste (etwa durch die DUH) den mangelhaften Zustand des Reaktors erkennen und in der Folge den Kaufpreis mindern könne.

Ziehm: "Das ist eine unglaubliche Argumentation, die im Klartext bedeutet, dass Vattenfall Schwachstellen und Nachrüstnotwendigkeiten des AKW Brunsbüttel einem potenziellen Käufer verschweigen würde, damit sich ein solches Eingeständnis nicht negativ auf den Kaufpreis auswirken kann." Es offenbare sich - jenseits der interessanten Vorstellung eines Verkaufs des 30 Jahre alten Brunsbüttel-Reaktors - "eine Haltung, die beim Verkauf eines Gebrauchtwagens mit defekten Bremsen jedermann als schlicht kriminell einstufen würde."

DUH-Geschäftsführer Baake forderte Sozialministerin Trauernicht auf, die "vielen Ungereimtheiten um den Zustand des Atomkraftwerks Brunsbüttel endlich aufzuklären." Keinen Tag länger dürfe sie die Vernebelungs- und Verzögerungstaktik von Vattenfall decken, sondern müsse die Schwachstellenliste unverzüglich den von einem schweren Unfall potenziell betroffenen Bürgern zugänglich machen. "Vor allem aber muss Frau Trauernicht die Abarbeitung der Liste atomrechtlich anordnen, Punkt für Punkt, und zwar sofort!"

Das AKW Brunsbüttel ist der älteste Siedewasserreaktor (SWR) in Deutschland und hält mit über zehn Jahren unter allen deutschen Atomkraftwerken den "Rekord" im Hinblick auf defekt- und nachrüstungsbedingte Stillstandszeiten. Im Dezember 2001 erschütterte eine schwere Wasserstoffexplosion den Reaktor, deren Aufklärung das Unternehmen über zwei Monate verhinderte. Im vergangenen Sommer geriet der Meiler erneut in die Schlagzeilen, nachdem die DUH Einzelheiten über schwere Defizite in der Notstromversorgung veröffentlicht hatte und die Unternehmensleitung zunächst falsche Angaben bezüglich der Vergleichbarkeit des Notstromsystems mit dem des schwedischen Pannenreaktors Forsmark machte. Außerdem ist der Siedewasserreaktor schlechter als die meisten anderen deutschen Meiler gegen terroristische Angriffe aus der Luft gesichert.

Quelle: Pressemiteilung Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH)

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