Zustand der Flussauen dramatisch schlecht
Archivmeldung vom 25.03.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Lage der Auen in Deutschlands Flusslandschaften ist dramatisch. So geht es aus dem Auenzustandsbericht hervor, den Bundesumweltministerin Schulze heute vorgestellt hat. Ob mit dem Nationalen Hochwasserschutzprogramm und dem Bundesprogramm Blaues Band künftig der nötige Raum für die Flüsse und ein Verbund vitaler Auen geschaffen werden kann, hängt nicht nur davon ab, wie engagiert diese Programme vorangetrieben werden.
Ausschlaggebend ist auch, ob wichtige Weichen in der Agrarpolitik gestellt werden. Die Agrarministerkonferenz setzt heute ihre Beratungen zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für den Zeitraum ab 2023 fort, die angekündigte Weidetierprämie steht bisher nicht im Gesetzentwurf von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.
Als Reaktion auf diese Entwicklungen hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die seit rund 30 Jahren für lebendige Flüsse streitet, sich mit Verbänden zusammengetan, die für die Förderung halbwilder Weidelandschaften eintreten. Als Auenweiden-Allianz richten sie ihre Forderungen an die zuständigen Agrarministerien in Bund und Ländern.
Sabrina Schulz, Leiterin des Lebendige-Flüsse-Teams der DUH: "Flüsse und ihre Auen sind dynamische Ökosysteme, die für die Artenvielfalt in Mitteleuropa von enormer Bedeutung sind und auch für den Menschen Unverzichtbares leisten, etwa bei der Wasserreinigung, Kühlung und CO2-Speicherung oder als attraktive Naturerlebnisräume vor der Haustür. Ihr Schutz muss endlich Priorität haben. Das heißt: Wiederanbindung an den Fluss, Stopp der Entwässerung und Acker raus aus den Überschwemmungsgebieten."
Edgar Reisinger, Vorsitzender des Taurus e. V.: "Wenn wir uns vor Hochwasser schützen wollen, müssen wir den Flüssen mehr Raum geben und die Deiche zurückverlegen. In einer dann regelmäßig überfluteten Aue würde die Ernte samt Ackerboden im Fluss landen. Wilde Auenweiden sind mit den natürlichen Prozessen der Flusslandschaft nicht nur vereinbar, sie unterstützen und beschleunigen die Renaturierung der Aue."
Alois Kapfer, Vorsitzender des Naturnahe Weidelandschaften e. V.: "Hochwasserschutz, Klimaschutz, Insektenschutz, Vogelschutz, Tierwohl - wilde Weiden bieten ein dickes Bündel hochgefragter Leistungen, für das bisher zu wenig gezahlt wird. Die neue GAP ist eine Chance, endlich die richtigen Anreize zu setzen und landwirtschaftliche Betriebe zu Partnern der Auenentwicklung zu machen. Die Weidetierprämie in das neue Gesetz aufzunehmen, wäre ein erster wichtiger Schritt."
Gerd Bauschmann, Vorsitzender des Weidewelt e. V.: "Bürokratischer Aufwand, Auflagen, die die Besonderheiten der Haltungsform nicht ausreichend berücksichtigen, fehlende Kenntnisse bei Betrieben und zuständigen Behörden - Auenweiden müssen endlich raus aus dem Nischendasein, dann verschwinden auch viele Hürden."
Margret Bunzel-Drüke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest e.V. (ABU): "Über das Management halbwilder Weidelandschaften wird seit Jahrzehnten geforscht, sie sind praxiserprobt und hochgradig wirksam. Wir sollten einer standardmäßigen Anwendung in Flussauen endlich die Steine aus dem Weg räumen."
Gerd Kämmer, Vorstand der Bunde Wischen eG: "Pionierarbeit hat den Weg bereitet, sei es im Parasitenmanagement, bei der Zucht und Auswahl geeigneter Rassen oder beim Kugelschuss auf der Weide, der den Tieren den Stress des Schlachthof-Transports erspart. Das vorhandene Wissen muss endlich in die Breite getragen werden. Die Auenweiden-Allianz steht bereit."
Hintergrund:
Nur 9 Prozent der Auen sind laut Auenzustandsbericht noch mehr oder weniger intakt, nur 7,4 Prozent der Flüsse erreichen nach Wasserrahmenrichtlinien-Kriterien den guten Zustand. Dabei geht es um den Lebensraum für zwei Drittel der mitteleuropäischen Arten. Nicht nur Auenarten, darunter zahlreiche Insekten, sind von der Degradation betroffen. Auch bei den Wildfischbeständen Europas wurden dramatische Einbrüche festgestellt. Überflutete Auwiesen sind wichtige Laichhabitate, heute liegen die einstigen Hecht- oder Störwiesen weitgehend im Trockenen.
Hinter der Idee der Auenweiden stehen halbwilde, extensive Weidelandschaften, die in Flussauen auch dann eingerichtet werden können, wenn diese häufiger überflutet werden. Sie werden mit Wasserbüffeln, Robustrindern und Pferden besetzt, die mit feuchten Standorten sehr gut zurechtkommen. Diese Tiere können den auentypischen Bewuchs gut verwerten, halten Neophyten klein und stören sich nicht an den wertvollen Strukturen wie Wasserflächen, Schwemmgut, Schilfgürteln, Sturzbäumen oder erodierenden Uferkanten. Im Gegenteil: Wie wilde Rotwild-Herden, die einst durch die Auen zogen, schaffen die Weidetiere mit ihrem Fressverhalten, ihren Trittspuren und Kothaufen auf den ausgedehnten Flächen zusätzliche Lebensräume für Amphibien, Wiesenbrüter, seltene Pflanzenarten und unzählige Insekten. Trotzdem lohnt sich diese artgerechte Form der Herdenhaltung bisher für landwirtschaftliche Betriebe kaum.
Die Auenweiden-Allianz versteht sich als Initiative, die dafür plädiert, Gewässerschutz, Hochwasserschutz, Naturschutz und Landwirtschaft an Flüssen endlich zusammenzudenken. Sie möchte bis zur Bundestagswahl die Idee der Auenweiden und Beiträge für bessere Rahmenbedingungen extensiver Landwirtschaft in die Diskussion bringen, diese kritisch begleiten und kommentieren, fachlichen Austausch ermöglichen und Lust auf das Thema wecken. Der informelle Zusammenschluss ist als Reaktion auf den schlechten Zustand der Auen entstanden und offen für den Austausch und die Vernetzung mit weiteren Naturschutz- und Anbauverbänden.
Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V. (ots)