Rückgang von Bestäuberarten gefährdet Produktion und Erträge von Kulturpflanzen
Archivmeldung vom 28.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittProduktion und Vielfalt von Kulturpflanzen sind durch einen Rückgang vieler Bestäuberarten gefährdet, denn weit mehr als ein Drittel dieser Pflanzen ist auf die Bestäubung von Insekten, etwa wildlebenden Bienen, angewiesen. Mit der Zerstörung naturnaher Lebensräume und einer Intensivierung der Landwirtschaft werden diesen Tierbestäubern zunehmend die Lebensgrundlagen entzogen.
Zu dieser Erkenntnis kommen Forscher aus Deutschland, darunter Agrarökologen der
Universität Göttingen, sowie Experten aus Frankreich, Australien und den USA.
Sie haben wissenschaftliche Arbeiten zu den 115 weltweit wichtigsten
Kulturpflanzen aus über 200 Ländern analysiert und konnten daraus ermitteln,
welcher Anteil ihrer Erträge direkt von Bestäubern abhängt. Die Ergebnisse
werden jetzt in einem Übersichtsartikel in den "Proceedings of the Royal Society
B: Biological Sciences" vorgestellt, nachdem in einer in der Zeitschrift
"Science" veröffentlichten Studie der parallele Rückgang von Wildbienen und den
von ihnen bestäubten Wildpflanzen nachgewiesen werden konnte.
Wie die
Göttinger Agrarökologin Dr. Alexandra-Maria Klein erläutert, gab es bislang nur
grobe Schätzungen, wie viele der für die menschliche Ernährung wichtigen
Kulturpflanzen von der Tierbestäubung abhängen. Nach den nun vorliegenden
Forschungsergebnissen profitieren 87 der 115 untersuchten Obst-, Gemüse,
Gewürz-, Öl- und Genusspflanzen von Bestäubern, zumeist Bienen und Hummeln. Dies
betrifft mehr als 35 Prozent der Kulturpflanzenproduktion. Bei den meisten
dieser Pflanzen führt Tierbestäubung zu Produktionssteigerungen von fünf bis zu
50 Prozent. "Ohne die Bestäubung durch Insekten wäre die Vielfalt menschlicher
Nahrung nicht gewährleistet, auch wenn die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln
wie Weizen, Reis und Mais davon nicht abhängig ist", so Dr. Klein. Nur wenige
Kulturpflanzen tragen ausschließlich Früchte, wenn Bestäuber verfügbar sind oder
der Mensch die Pflanzen per Hand bestäubt. Neben Kakao gehören dazu Annona-,
Maracuja-, Kiwi- und Sapodillafrüchte, Vanille, verschiedene Kürbissorten,
Wassermelonen sowie Para- und Macadamianüsse.
Auf welche Weise sich die
Zerstörung naturnaher Lebensräume und die Intensivierung der Landwirtschaft auf
das Vorkommen wildlebender Bienen, Hummeln und anderer Insektenbestäuber
auswirkt, konnte das Wissenschaftlerteam anhand von verschiedenen Studien
zeigen: Sie wurden an neun Kulturpflanzen auf vier Kontinenten durchgeführt. Mit
dem Rückgang der natürlichen Bestäuber können dabei weitreichende Folgen
verbunden sein, wie Dr. Klein am Beispiel des Maracuja-Anbaus in Brasilien
deutlich macht: Hier werden die Pflanzen per Hand durch Tagelöhner oder
Familienmitglieder bestäubt, weil der Einsatz von Insektiziden und die
Vernichtung des Regenwaldes die Lebensgrundlagen der großen Holzbienen bedroht.
"Viele Menschen in den brasilianischen Städten können sich diese teuer
angebauten Früchte ebenso wie Gemüse nicht leisten und ernähren sich vorwiegend
von billigem Zucker, Fleisch und Ölen. Diese unausgewogene Ernährung führt oft
zu Übergewicht", erläutert Dr. Klein.
Die Wissenschaftler fordern als Konsequenz ihrer Forschungsergebnisse eine naturnahe Gestaltung von Kultur- und Agrarlandschaften. Um wichtige Ökosystemleistungen, zu denen auch die Bestäubung von Pflanzen gehört, langfristig zu erhalten, ist nach den Worten von Prof. Dr. Teja Tscharntke eine ganzheitliche Perspektive erforderlich. "Eine große Artenvielfalt von Bestäubern kann nicht allein durch Maßnahmen auf den Feldern oder in landwirtschaftlichen Betrieben gewährleistet werden. Wir brauchen vielmehr komplexe Kulturlandschaften, die sorgfältig für eine Vielzahl funktionell wichtiger Organismengruppen bewirtschaftet werden. Nur auf diese Weise lassen sich die für den Menschen wichtigen ,Dienstleistungen' des Ökosystems, wie zum Beispiel die Insektenbestäubung oder die biologische Schädlingskontrolle nachhaltig sichern", betont der Wissenschaftler, der die Abteilung Agrarökologie am Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Universität Göttingen leitet.
Quelle: Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft e.V.