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Deutsche Umwelthilfe nennt Vattenfall-Pläne zu Brunsbüttel "Zynismus pur"

Archivmeldung vom 11.09.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.09.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Reaktorbetreiber will den Problemreaktor länger als im Atomkonsens vereinbart betreiben - Auch 2004 war Brunsbüttel Schauplatz eines kritischen Störfalls - Brand an "gealterten" Kabeln legte Strom-Eigenversorgung des Reaktors lahm und löste umfangreiche Austauscharbeiten aus - DUH Bundesgeschäftsführer Rainer Baake: "Dieser Reaktor ist erst sicher, wenn er endgültig abgeschaltet ist."

Mitten hinein in die öffentliche Debatte über die Sicherheitsdefizite im Notstromsystem des Problemreaktor Brunsbüttel hat der Vattenfall-Konzern seine Entschlossenheit bekräftigt, den Meiler über das Jahr 2009 hinaus zu betreiben. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom Samstag erklärte Vattenfall-Vorstand Reinhardt Hassa, sein Unternehmen plane einen entsprechenden Antrag im nächsten Jahr. Brunsbüttel könne wie andere Atomkraftwerke "40 oder sogar 60 Jahre sicher laufen." Vattenfall platziert seine Ankündigung noch bevor der Konzern die von der Atomaussicht verlangten Nachweise über die Ausfallsicherheit von Wechselrichtern und Antworten auf Fragen nach dem Sicherheitsmanagement erbracht hat. "Der Konzern provoziert die Öffentlichkeit und er zeigt, dass in der Konzernzentrale Zynismus pur regiert", erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Er erinnerte daran, dass im Atomkonsens und im Atomgesetz als Regelfall die Übertragung von Strommengen von älteren auf neue Reaktoren vorgesehen sei. Grund sei der schlechtere Sicherheitszustand von alten Reaktoren wie Brunsbüttel. Wenn Vattenfall jetzt den umgekehrten Weg gehen wolle, dann zeige diese, wie es um die Sicherkultur dieses Unternehmens bestellt sei.

Auch Hassas Begründung, es sei falsch, Atomkraftwerke abzuschalten, die "preiswert Elektrizität liefern", könne angesichts der jüngsten Preiserhöhungen für Privat- und Gewerbekunden in Berlin und Hamburg zum 1. Mai 2006 "nur mit Kopfschütteln quittiert" werden. "Vattenfall und die anderen Atomkraftbetreiber produzieren den Strom in ihren abgeschriebenen Meilern zwar preiswert, aber sie verkaufen ihn teuer". Auch das sei ein Grund, warum viele Deutsche von der Dominanz der Atomkonzerne genug hätten, erklärte Baake.

Unwahr ist auch Hassas Erklärung, das Atomkraftwerk Brunsbüttel laufe seit der Wiederinbetriebnahme im März 2003 "unbeanstandet". Diese Behauptung "ist nicht einmal die halbe Wahrheit", sagte Gerd Rosenkranz, der Leiter Politik und Öffentlichkeit der DUH. Erst im März 2006 hatte die schleswig-holsteinische Landesregierung in der Antwort auf eine Anfrage im Landtag erklärt, in "über 200 Prüfberichten" von Sachverständigen seien "über 650 offene Fragen mit unterschiedlichen Inhalten ausgewiesen". Der Öffentlichkeit wurden diese Sicherheitsdefizite bis heute nicht zugänglich gemacht. Hassa verschweigt auch einen Kabelbrand in der Strom-Eigenbedarfsversorgung des Kraftwerks, der am 23. August 2004 zu einer Reaktorschnellabschaltung und einem erneuten Stillstand der Anlage von 63 Tagen führte. Wegen "Alterungseffekten an Kabeln und PVC-Isolierungen", die als Auslöser des Brandes galten, mussten anschließend alle vergleichbaren Kabel ausgewechselt werden. Dem Jahresbericht 2004 über "Meldepflichtige Ereignisse" in deutschen Atomanlagen (nachzulesen im Internet-Auftritt des Bundesamts für Strahlenschutz, BfS) ist zu entnehmen, dass der Kabelbrand als "Eilmeldung" der Stufe 1 der INES-Skala (International Nuclear Event Scale) eingestuft wurde. Das Feuer war damit eines der beiden kritischsten Ereignisse in einer deutschen Atomanlage im Jahr 2004 (von 154 Ereignissen insgesamt). Zum Vergleich: Der dramatische Forsmark-Unfall wird bisher als INES-Stufe 2 eingestuft.

Baake erinnerte daran, dass der Reaktor in Brunsbüttel im Dezember 2001 Schauplatz eines der schwersten Unfälle in einem deutschen Atomkraftwerk war, als eine Wasserstoffexplosion in unmittelbarer Nachbarschaft des Reaktorbehälters eine Rohr zerfetzte. Damals hatte der später von Vattenfall übernommene Betreiber HEW den Reaktor noch zwei Monate weiterbetrieben, bevor eine von den Atomaufsichtsbehörden erzwungene Begehung des Sicherheitsbehälters das ganze Ausmaß der Explosion offenbarte. Der Kraftwerksdirektor musste gehen. Nur Monate später offenbarten Störfallsimulationen mit einem neuen Simulator, dass das Notstromsystem des Kraftwerks Brunsbüttel eine ganze Reihe von Störfällen nicht wie vorgesehen beherrschen würde. Die Planungs- und Umsetzungsfehler waren zuvor seit der Inbetriebnahme 1976 niemandem aufgefallen. Auch nach der nachträglichen Herstellung des Zustandes, auf der die Betriebsgenehmigung aus den achtziger Jahren basierte, bescheinigte die Reaktorsicherheitskommission (RSK) der Bundesregierung dem Notstromsystem in Brunsbüttel massive Defizite. Anlässlich einer Sondersitzung stellte die RSK im März 2003 fest, dass selbst mit dem Austausch des defizitären Sicherheitsleitsystems gegen ein hochmodernes System "kein Sicherheitsgewinn verbunden ist, da dies die Defizite im Anlagenkonzept hinsichtlich des Aufbaus der Notstromversorgung nicht ausgleicht."

Auch das Atomkraftwerk Forsmark, das Ende Juni nur knapp einer Katastrophe entging, wies massive Sicherheitsprobleme im Notstromsystem auf. Betreiber wie in Brunsbüttel: Vattenfall. Bei der Überprüfung der deutschen Kraftwerke in der Folge des Forsmark-Unfalls, hatte der Meiler in Brunsbüttel mit Abstand die größten Probleme nachzuweisen, dass Vergleichbares wie in Forsmark an der Elbe nicht geschehen könnte. Der Konzern verbreitete zwei Wochen lang objektive Falschinformationen über das Notstromsystem, korrigierte sich dann, erklärte den Reaktor gleichwohl für sicher und bot der Atomaufsicht schließlich einen Umbau des Notstromsystems an. Dazu jetzt Hassa gegenüber der FR: "Eigentlich nicht nötig, bringt aber noch mehr Beruhigung."

Baake: "Dieses Unternehmen kommt voraussichtlich erst zur Besinnung, wenn ein katastrophaler Unfall geschieht. Soweit darf es nicht kommen, Dieser Reaktor ist erst sicher, wenn er endgültig abgeschaltet ist."

Quelle: Pressemitteilung DUH

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