Angst vor der Kuckuck-Mafia
Archivmeldung vom 19.04.2014
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn ein Restaurantbesitzer ein gefordertes Schutzgeld nicht bezahlt, muss er damit rechnen, dass sein Lokal verwüstet wird. Allerdings sind solche Warnungen nur selten erforderlich, denn allein die Furcht vor den Folgen lässt die Wirte bezahlen. Ein ähnlich mafiöses Verhalten wird auch bei parasitären Vögeln beobachtet, die ihre Eier in fremde Nester legen. Werfen die Wirtsvögel das Kuckucksei hinaus, nehmen die Brutparasiten Rache und zerstören das gesamte Gelege. Es ist für die Wirte also von Vorteil, lernfähig zu sein und zu kooperieren. Was bisher nur aus Feldbeobachtungen bekannt war, konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön jetzt in einem mathematischen Modell als wirkungsvolle Verhaltensstrategie bestätigen.
Von manchen parasitären Vögeln wie dem in Nordamerika vorkommenden Braunkopf-Kuhstärling (Molothrus ater) ist bekannt, dass sie ihre Wirte mit der Zerstörung ihrer Gelege bestrafen, wenn diese ihre Eier aus dem Nest kegeln. Als Konsequenz akzeptieren die Wirte ein gewisses Maß an Parasitismus, solange sie neben den Kuckuckskindern auch ihre eigenen Jungen aufziehen können. „Wir haben in unserer Arbeit die unter Wissenschaftlern kontroverse Mafia-Hypothese getestet und bestätigt“, erklärt Maria Abou Chakra, die Erstautorin der Studie. Die parasitären Vögel erpressen mit ihrem Verhalten die Wirte und zwingen sie somit zur Kooperation. „Sie lassen den Wirten keine Wahl. Wenn sie einen Vergeltungsschlag vermeiden wollen, dann sollten sie das fremde Ei behalten.“
Damit die Theorie aufgeht, sind zwei Punkte ganz entscheidend: Die Wirtsvögel müssen lernfähig sein, und die Parasiten müssen mehrmals die gleichen Nester anfliegen. Nur dann hat das Mafia-Verhalten den gewünschten Effekt. „Als Wirt ist es eigentlich das Beste, ein fremdes Ei im eigenen Nest zu zerstören. Aber wenn man auf einen mafiösen Vogel trifft, der sich dafür rächt, dann ist es von Vorteil, sich anzupassen und das fremde Ei zu akzeptieren“, sagt Abou Chakra.
Maria Abou Chakra arbeitet in der Forschungsgruppe Evolutionstheorie am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie und hat gemeinsam mit Christian Hilbe (Harvard) und Arne Traulsen mathematische Modelle zur Überprüfung der Mafia-Hypothese entwickelt. In einem minimalistischen Modell haben sie zugrunde gelegt, dass jeder Parasit nur maximal ein Ei in ein fremdes Nest legt, das der Wirt akzeptieren oder hinauswerfen kann. Ein komplexeres Modell erlaubte es den Parasiten, mehrere Eier zu legen, die unabhängig voneinander zerstört oder akzeptiert werden konnten.
„Biologen gefällt das komplexe Modell besser, denn es ist näher an der Wirklichkeit. Aber wir sind in beiden Fällen zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Die Dynamik der Interaktion zwischen Wirt und Parasit verläuft zyklisch.“ Ein Gleichgewicht stellt sich nie ein, stattdessen gibt es regelmäßige Zyklen in der Häufigkeiten von mafiösen und nicht-mafiösen Parasiten sowie Wirten, die sofort oder erst nach einem Vergeltungsschlag akzeptieren. Ist die Anzahl nicht-mafiöser Brutparasiten hoch, sind die Wirte im Vorteil, die erst nach einer Zerstörung ihres Nests das Kuckucksei in ihrem Nest belassen. Schließlich ist die Chance gering, dass sie gerade ein Ei aus dem Nest kegeln, das einem der wenigen Vögel gehört, der auf Vergeltung aus ist. Somit nimmt dieses Verhalten unter den Wirtsvögeln zu. Das wiederum verbessert die Überlebensrate der mafiösen Brutparasiten. Sobald diese in der Überzahl sind, zahlt es sich für Wirte aus, bedingungslos zu akzeptieren, was wiederum das mafiöse Verhalten überflüssig macht. Der Kreislauf beginnt von vorn.
Der Evolutionsbiologe Amoth Zahavi hat die Mafia-Hypothese schon im Jahr 1979 aufgestellt. Seitdem ist sie umstritten. Kritiker wenden ein, dass der Vergeltungsschlag den Parasiten keinen Vorteil bietet, sondern nur hohe Kosten einbringt. Allerdings profitieren die zukünftigen Nestlinge von dem aufbrausenden Verhalten, wenn die Wirtseltern aus Furcht vor einer erneuten Nestzerstörung das nächste Kuckucksei behalten und ausbrüten.
Anstatt Vergeltung zu üben, könnten die Parasiten versuchen, das Aussehen ihrer Eier besser an das der Wirtsvögel anzupassen. Dann wäre es für die Eltern wider Willen schwieriger, das fremde Ei zu identifizieren und zu zerstören. Tatsächlich gibt es einige Vögel, die diese Strategie anwenden. Aber Abou Chakra sieht gerade im mafiösen Verhalten einen Vorteil: „Wir glauben, dass es den Parasiten dabei hilft, einer Spezialisierung zu entgehen“. Wer seine Eier in Größe und Farbe nicht an einen bestimmten Wirt anpasst, der kann nahezu jeder Vogelart ein Kuckuckskind unterschieben und die Pflegeeltern durch sein Verhalten zur Aufzucht zwingen. „Die Frage ist, unter welchen Umweltbedingungen ist es für Parasiten besser sich zu spezialisieren und wann macht sich mafiöses Verhalten bezahlt.“ Dies wollen die Wissenschaftler als nächstes testen.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. (idw)