Viel Wind um nichts – warum die jet streams der oberen Atmosphäre kaum erneuerbare Energie liefern
Archivmeldung vom 02.12.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie verbreitete Annahme, dass die hohen Windgeschwindigkeiten von Strahlströmen, oder auch „jet streams“, einem hohen Potential an erneuerbarer Energie entsprechen, wurde jetzt von Forschern des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena widerlegt. Sie berechneten, dass die maximale Energiegewinnung durch Strahlstromwinde etwa 200-fach geringer ist als bisher geschätzt, da deren hohe Windgeschwindigkeiten durch die sehr geringe Reibung entstehen und nicht durch einen starken Antrieb. Mit Hilfe von Klimasimulationen stellten die Wissenschaftler außerdem fest, dass die Energiegewinnung aus Strahlstromwinden gewaltige Auswirkungen für das gesamte Klimasystem haben würde.
Strahlstromwinde (oder „jet streams“) sind Luftbewegungen der Atmosphäre mit kontinuierlichen Geschwindigkeiten von über 25 m/s (oder 90 km/h) in Höhen zwischen 7 bis 16 km. Die erstaunlich hohen Geschwindigkeiten erwecken den Eindruck einer nahezu unerschöpflichen Quelle an erneuerbarer Energie, deren Ausnutzung nur nach entsprechenden Windenergie-Techniken ruft. Die Annahme, dass diese potentielle Energiequelle unbegrenzt sprudelt und den zukünftigen, stets steigenden Energiebedarf der modernen Zivilisation decken könnte, ermutigte bereits zu umfangreichen technologischen Investitionen. Allerdings ist die Energie der Strahlströme begrenzt. Sie werden, wie auch die anderen Wind- und Wettersysteme der Erde, dadurch erzeugt, dass die Tropen stärker durch Sonneneinstrahlung erwärmt werden als die Polargebiete. Durch diese Unterschiede in der Erwärmung entstehen Temperatur- und Druckunterschiede, aus denen die Antriebskräfte für Atmosphärenbewegung entstehen und Wind erzeugt wird. Es ist also die unterschiedliche Erwärmung, die die Obergrenze für die natürliche Winderzeugung setzt und damit auch bestimmt, wie viel davon maximal als erneuerbare Windenergie genutzt werden kann.
Aus der meteorologischen Forschung ist bekannt, dass die hohen Windgeschwindigkeiten der Strahlströme durch das fast vollständige Fehlen von Reibung entstehen, was als „geostrophischer Wind“ beschrieben wird. Strahlströme resultieren aus der Bilanz zwischen der beschleunigenden Kraft des Druckgradienten in der oberen Atmosphäre und der sogenannten Corioliskraft, die durch die Erdrotation erzeugt wird. Da sie in der oberen Atmosphäre fern des Einflusses der Erdoberfläche entstehen, spielt eine Reibung mit der Erdoberfläche praktisch keine Rolle. Folglich braucht es nur wenig Energie, um sie anzutreiben und aufrecht zu erhalten. „Genau dieser geringe Energiebedarf ist es, der das Potential zur Nutzung als erneuerbare Energiequelle begrenzt“, erklärt Dr. Axel Kleidon, Leiter der unabhängigen Max-Planck-Forschungsgruppe „Biosphärische Theorie und Modellierung“. Basierend auf der atmosphärischen Energetik errechnet Kleidons Gruppe mithilfe von Klimasimulationsmodellen die maximale Rate, mit der Windenergie aus der globalen Atmosphäre entzogen werden kann. Die Abschätzung von 7,5 TW (1 TW = 10^12 Watt, ein Maß für die Leistung und den Energieverbrauch) ist 200-fach geringer die in vorherigen Studien ermittelte nutzbare Windenergie und beläuft sich lediglich auf ungefähr die Hälfte des Primärenergiebedarfs der Menschheit von 17 TW im Jahr 2010.
Die Max-Planck-Forscher untersuchten auch die klimatischen Folgen, die sich aus einer starken Nutzung der Strahlströme als erneuerbare Energiequelle ergeben würden. Da jede Windturbine einen Widerstand aufbaut, durch den Windenergie letztlich in Strom umgewandelt wird, muss sich die Kräftebilanz der Strahlströme ändern, sobald diese Energie entzogen wird. Würden 7.5 TW von den Strahlströmen für erneuerbare Energiegewinnung entzogen, so wäre eine stark verändert Kräftebilanz die Folge, was den treibenden Druckgradienten zwischen der Äquatorregion und den Polen erschöpfen würde. Ein solcher Eingriff in die Strahlströme würde das gesamte Klimasystem verlangsamen. „Die Atmosphäre würde ein 40-faches weniger an Energie erzeugen im Vergleich zu dem, was wir durch die Windturbinen an erneuerbare Energie gewinnen könnten. “ erläutert Lee Miller, Erstautor der Studie. „Dies würde drastische Änderungen für die Temperatur und das Wetter hervorrufen.“
Die Max-Planck-Studie wurde in der Fachzeitschrift „Earth System Dynamics“ am 29. November veröffentlicht. Die Erkenntnisse zeigen, dass schnelle Winde nicht automatisch ein großes Potential an erneuerbarer Energie darstellen. Umweltfreundlich erscheinende Technologien der erneuerbaren Energiegewinnung müssen sorgfältig vor dem Hintergrund betrachtet werden, wie sie im gesamten Erdsystem mit natürlichen Prozessen interagieren.
Quelle: Max-Planck-Institut für Biogeochemie (idw)