BUND legt aktuelle Studie zu den Risiken der baden-württembergischen Atomkraftwerke vor
Archivmeldung vom 10.03.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.03.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit einer neuen Studie zu den Risiken der vier in Baden-Württemberg betriebenen Atomkraftwerke hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) seine Forderung nach Stilllegung dieser Anlagen bekräftigt. "Die Studie belegt: Die Sicherheitsmängel in den alten Atomkraftwerken Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 sind so gravierend, dass sie auch durch Nachrüstungen nicht behoben werden können", sagte die BUND-Landesvorsitzende Dr. Brigitte Dahlbender.
"Bei den neueren Atomkraftwerken Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2, die immerhin auch schon über 20 Jahre alt sind, muss dringend eine aktuelle Sicherheitsanalyse vorgelegt werden. Diese ist dann wiederum die Grundlage für konkrete Nachrüstungen, die dann kurzfristig erfolgen müssen."
Vor über drei Jahren hatte die Energie Baden-Württemberg (EnBW) die Landesregierung selbst in einem Schreiben über die enormen Sicherheitsmängeln informiert. Entgegen der Behauptung der Landesregierung würden nun nicht nur die sichersten AKWs weiterbetrieben, sondern alle Anlagen. "Obwohl die Landesregierung schon längst von den Sicherheitsdefiziten weiß, tut sie nichts", sagte Dahlbender: "Es ist ein Skandal: Die Landesregierung schützt die Gewinninteressen der Konzerne, hintergeht die Bürger und setzt die Sicherheit der Bevölkerung aufs Spiel."
Die Autorin der BUND-Studie, die Physikerin Oda Becker, hat untersucht, welche Sicherheitsnachrüstungen für Verbesserungen der Sicherheitslage in den vier AKW dringend erforderlich wären. Das Fazit: In allen vier Anlagen besteht die Gefahr eines schweren Unfalls. Insbesondere in den älteren Reaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 führen demnach Konstruktionsmängel und jahrelang ausgebliebene Nachrüstungen zu steigenden Risiken. "Für wesentliche Konstruktionsmängel der alten Reaktoren wie veraltete Reaktorgebäude, Sicherheitsbehälter, Reaktordruckbehälter und Lagerbecken sind jedoch Nachrüstungen undenkbar", sagte Oda Becker. "Ein schwerer Störfall kann außerdem eintreten, wenn der Reaktordruckbehälter nicht standhält. Deshalb würden selbst extrem teure Nachrüstungen ihr Sicherheitsniveau nur eingeschränkt verbessern."
Nicht abzusehen sei auch, wann und wie der Schutz der Atomkraftwerke gegen Flugzeugabstürze oder mögliche Terroranschläge gewährleistet werden kann. Philippsburg 1 gehöre, was die Terrorrisiken betreffe, zu den verwundbarsten Reaktoren in Deutschland. Oda Becker: "Gerade weil sich entscheidende Defizite der Atomkraftwerke nicht mit Nachrüstungen beheben lassen, muss im Falle eines Weiterbetriebs alles versucht werden, um mit sicherheitstechnischen Verbesserungen zum Beispiel bei Notkühlung und Notstromversorgung potenzielle Störfälle beherrschbarer zu machen."
Auch die neueren Alt-AKWs Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2 haben der BUND-Studie zufolge große Sicherheitsmängel. So zählt Philippsburg 2 mit einem technischen Design aus den 1970er Jahren und großen Problemen beim so genannten Bruchausschluss von zentralen druckführenden Leitungen zu den störanfälligsten Reaktoren. Diese Probleme lassen sich auch durch umfangreiche Nachrüstungen nur teilweise in den Griff bekommen. Beide Reaktoren erfüllen nicht die gesetzlichen Sicherheitsstandards, die seit 1994 gelten.
"Die neue Landesregierung in Baden-Württemberg muss ohne falsche Rücksichten alle Sicherheitsnachrüstungen sowie einen baulichen Schutz gegen Terrorrangriffe bei den neueren Anlagen zügig anordnen, um deren Sicherheit zumindest etwas zu erhöhen. Als Leiterin der Atomaufsicht muss Ministerin Tanja Gönner endlich aktiv werden", so die BUND-Landesvorsitzende Dahlbender: "Zugleich muss die Bevölkerung umfassend und offensiv über die Sicherheitsmängel der Atomkraftwerke und Nachrüstmaßnahmen informiert werden."
Mit der Studie hat der BUND der Atomaufsicht einen Handlungsleitfaden vorgelegt. "Die Landesregierung muss als ersten Schritt der EnBW bis Juli 2011 Sicherheitsberichte zu allen vier AKW abverlangen. Darin muss aufgezeigt werden, wie sich der Betreiber die Umsetzung der vom Bundesumweltministerium geforderten Sicherheitsnachrüstungen im Detail vorstellt", sagte Dahlbender: "Bei allen Meilern sind selbst teure Nachrüstungen keine Sicherheitsgarantien. Die einzige Lösung ist der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie und die engagierte Umsetzung der Energiewende."
Um seinen Forderungen nach einem sofortigen Atomausstieg Nachdruck zu verleihen, organisiert der BUND zusammen mit anderen Organisationen am Samstag, 12.3.2011, eine Menschenkette vom AKW Neckarwestheim nach Stuttgart. Dazu werden 20 000 bis 40 000 Menschen erwartet.
Quelle: BUND