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Das erstaunliche Erbgut der Kröten

Archivmeldung vom 25.04.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.04.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Manuel Schmidt
Wechselkröten sind von Mitteleuropa bis nach Zentralasien mit zahlreichen Arten vertreten. Sie besitzen ein XY-Geschlechtschromosomensystem; im Unterschied zu dem von Säugetieren und dem des Menschen kann man ihre Geschlechtschromosomen jedoch nur mittels molekularer Marker unterscheiden.
Wechselkröten sind von Mitteleuropa bis nach Zentralasien mit zahlreichen Arten vertreten. Sie besitzen ein XY-Geschlechtschromosomensystem; im Unterschied zu dem von Säugetieren und dem des Menschen kann man ihre Geschlechtschromosomen jedoch nur mittels molekularer Marker unterscheiden.

Foto: IGB/Matthias Stöck

Wer wird Männchen, wer Weibchen? Das Sexualleben von Kröten ist für Evolutionsbiologen von besonderem Interesse. Der Berliner Amphibienforscher Matthias Stöck untersucht junge Arten einschließlich ihrer Geschlechtschromosomen und leitet Anwendungen für die Umweltforschung daraus ab.

Kreta ist ein Eldorado für den Amphibienforscher Matthias Stöck. Denn sowohl im Tiefland der Insel laichen Laubfrösche und Wechselkröten als auch auf der Lasithi-Hochebene, rund 830 Meter über dem Meeresspiegel, in großen, anscheinend sehr gesunden Populationen. Weiter unten beginnt der Frühling etwas früher. „Damit haben wir zweimal hintereinander die Chance, Eier zu untersuchen“, berichtet Stöck, der am Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) als Heisenberg-Stipendiat der DFG forscht und als Privatdozent für Zoologie an der Humboldt-Universität lehrt. „Wir benötigen Elterntiere, die unter kontrollierten Bedingungen Laich ablegen“, sagt er. Für die anschließenden Tests werden nur wenige Eier entnommen, den Elterntieren geschieht nichts, ihnen wird mit Wattestäbchen nur eine winzige DNA-Probe aus dem Speichel entnommen. In diesem Jahr gestaltete sich die Aktion allerdings recht schwierig. „Es regnete plötzlich und massiv, der Laich war in den lehmigen Gewässern nur schwer zu finden.“

Ein Teil der Untersuchungen, die von der Doktorandin Stephanie Tamschick und in Kooperation mit dem renommierten Ökotoxikologen und dem Krallenfrosch-Experten Prof. Werner Kloas durchgeführt werden, geht der Frage nach, wie die Frösche und Kröten auf winzige Mengen hormonähnlich wirkender bzw. mit dem Hormonsystem interagierender Substanzen reagieren, die in der Pharma- und Kunststoffindustrie häufig eingesetzt werden (endokrine Disruptoren). Denn im Extremfall kann es passieren, dass sich ein genetisches Männchen durch hormonwirksame Substanzen in ein Weibchen verwandelt. Weichmacher wie Bisphenol A oder das chemisch hergestellte Östrogen Ethinylestradiol, das zur Empfängnisverhütung eingesetzt wird, werden in Kläranlagen kaum abgebaut und gelangen in unsere Umwelt. Solche Untersuchungen gibt es bei Amphibien fast ausschließlich für den aus Südafrika stammenden Krallenfrosch (Xenopus laevis), Modellorganismus der Amphibienphysiologen, mit dem früher auch Schwangerschaftstests durchgeführt wurden. Dieser ist von europäischen Arten wie Laubfrosch (Hyla arborea) oder Wechselkröte (Bufo viridis) bereits vor 200 Millionen Jahren evolutionär getrennt worden. Zur Verdeutlichung der enormen Divergenz: Die evolutionäre Aufspaltung der Linien von Mensch und Maus erfolgte hingegen erst vor 92 Millionen Jahren. Daher ist bislang unklar, inwieweit sich ökotoxikologische Daten, und damit Verschmutzungsgrenzwerte, vom Krallenfrosch auf andere Amphibien übertragen lassen.

Evolution sich gerade herausbildender Amphibienarten

Neben diesen Anwendungen, geht es für Stöck in seiner wissenschaftlichen Grundlagenforschung vorrangig um eine Frage, die schon den Vater der Evolutionstheorie Charles Darwin brennend interessiert hat: Wie kommt es zur Entstehung neuer Arten? Stöck studiert in diesem Zusammenhang die Evolution von Geschlechts-Chromosomen – eine Wissensgebiet, das Darwin noch nicht zur Verfügung stand. An Amphibien lässt sich dies besonders schwierig studieren, da die meisten Arten mikroskopisch nicht unterscheidbare Geschlechtschromosomen aufweisen; lediglich molekulare Marker erlauben ihre Erforschung. Eine neue Art entsteht beispielsweise durch räumliche Trennung einer Population, etwa durch ein Gebirge, einen Fluss oder auch auf einer Insel. Stöck möchte herausfinden, wie viel (oder besser wie wenig) Zeit vergehen muss, damit aus getrennt evolvierenden Linien eigenständige Arten hervorgehen.

Richtig spannend wird es dann, wenn solche Linien, die für nur wenige Millionen Jahre getrennt waren – und unter evolutionsbiologischem Aspekt sind 1 bis 3 Millionen Jahre ein relativ kurzer Zeitabschnitt – wieder zusammenkommen. Solche Prozesse untersucht der Zoologe mit internationalen Partnern gerade auf Sizilien, in Norditalien und Griechenland. Dort sind für unterschiedlich kurze Zeiten (1 bis 3 Millionen Jahre) getrennte Populationen von Wechselkröten heute wieder in (sogenanntem sekundärem) natürlichem Kontakt, und es kommt in unterschiedlich starkem Maße zur Bildung von Hybriden, also zwischenartlichen Kreuzungen. Erste Ergebnisse aus Norditalien zeigen, dass es bei erst in jüngerer Zeit aufgetrennten Linien eine stärkere Vermischung im sekundären Kontakt gibt als bei seit längerem getrennten Wechselkröten. „Dabei ist jedoch weitgehend unbekannt, wie sich bei Amphibien die Gene auf den Geschlechtschromosomen im Vergleich zu denen anderer, ,gewöhnlicher‘ Chromosomen verhalten“, sagt Stöck, „insbesondere, ob sie genauso einfach oder doch schwieriger vom Gen-Pool der einen evolutionären Linie in den der anderen hinübergelangen.“

Evolution von Geschlechtschromosomen

Säugetiere oder Vögel besitzen Geschlechtschromosomen, die sich unter dem Mikroskop unterscheiden lassen („heteromorphe Geschlechtschromosomen“), wie beim Menschen mit männlichen XY- und weiblichen XX-Chromosomen. Bei Vögeln tragen Männchen gleiche ZZ-Chromosomen, Weibchen dagegen verschiedene ZW-Chromosomen. Bei den meisten Amphibien, Fischen und Reptilien kommen zwar beide Systeme grundsätzlich vor, ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass sich ihre meist „homomorphen“ Geschlechtschromosomen mikroskopisch nicht unterscheiden lassen. Erst molekulare Marker, die Stöck und Kollegen durch ihre Forschung entwickelt haben, ermöglichen es, das genetische Geschlecht, z.B. von Kaulquappen festzustellen. Dies erlaubt auch die Übertragung der Grundlagenforschungsergebnisse in die eingangs dargestellte Umweltforschung, denn erst wenn sich feststellen lässt, ob eine Kaulquappe ein Männchen oder Weibchen werden soll, lässt sich die Wirksamkeit die Geschlechtsentwicklung beeinflussender Substanzen in vollem Umfang beurteilen.

Mehrfache Chromosomensätze – Polyploidie

Im Rahmen seiner evolutionären Untersuchungen ist Stöck noch auf einem weiteren Forschungsfeld tätig. Was beim Menschen meist zum sofortigen Absterben des Embryos oder zu schwersten Fehlbildungen führt, ist bei einigen Amphibien durchaus möglich und „gesund“: sie besitzen statt zwei („Diploidie“) teilweise gleich mehrere Chromosomensätze, was als „Polyploidie“ bezeichnet wird. Beispielsweise kommen die von Stöck besonders umfangreich erforschten Wechselkröten, auch Grüne Kröten genannt, von östlich des Rheins bis nach Innerasien vor. Östlich des Kaspischen Meeres, also in Zentralasien, wird es für den Zoologen jedoch richtig spannend. Denn dort leben in den Wüsten und Hochgebirgen Wechselkröten, die gleich mehrere Chromosomensätze aufweisen. „Das Verständnis ihrer geschlechts-chromosomalen Evolution wird ein Schlüssel zum Verständnis, warum ausgerechnet bei diesen Tieren Polyploidie möglich ist, während das bei anderen Wirbeltieren relativ selten vorkommt“, erläutert Stöck. „Hier rühren wir an einem ,Dogma‘ der Evolutionsforschung, denn die Vervielfachung der Geschlechtschromosomen wird als wesentliches Hindernis angesehen, warum es bei Tieren nur recht wenige polyploide Arten gibt, während Polyploidisierung bei der Evolution von Pflanzenarten sehr häufig beteiligt war“.

Nach drei Jahren in den USA (University of California, Berkeley) und sechs Jahren in der französischsprachigen Schweiz (Université de Lausanne) sagt Stöck: „Mit dem Heisenberg-Stipendium bietet die DFG eine große Chance, sich nach so langer Auslandserfahrung wieder der deutschen Forschungslandschaft anzunähern. Das IGB bietet eine hervorragende Infrastruktur und die Nähe zu den Berliner Universitäten erweist sich auch für die Einbindung in die akademische Lehre als günstige Voraussetzung.“

Quelle: Forschungsverbund Berlin e.V.


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