Eine Chance für die Nacht
Archivmeldung vom 24.12.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWissenschaftler der Leibniz-Gemeinschaft erforschen die Folgen des Verlusts der Nacht auf Mensch und Umwelt durch zunehmende künstliche Beleuchtung. Zur Reduzierung der Lichtverschmutzung sehen die Wissenschaftler unter anderem Handlungsbedarf bei effizienteren und zielgerichteten Beleuchtungssystemen, lichtbezogenen Regelwerken sowie Himmelsparks und Lichtschutzzonen.
Wissenschaftler der Leibniz-Gemeinschaft fordern eine umfassendere
Erforschung der Auswirkungen von künstlichem Licht auf Mensch und
Umwelt. "Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die zunehmende
Beleuchtung nicht nur positive Effekte wie eine erhöhte Sicherheit oder
bessere Produktionsbedingungen für die Wirtschaft bringt, sondern auch
negative Auswirkungen etwa auf die Ökologie hat", sagt der Sprecher des
Leibniz-Forschungsverbundes "Verlust der Nacht" und Direktor des
Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Klement
Tockner. Das auch als "Lichtverschmutzung" bezeichnete Phänomen nimmt
Schätzungen zufolge pro Jahr etwa um fünf bis sechs Prozent zu.
Um dem vielschichtigen Phänomen Licht gerecht zu werden, haben sich
Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen aus sieben Instituten der
Leibniz-Gemeinschaft sowie der Technischen Universität und der Freien
Universität Berlin zum Forschungsverbund "Verlust der Nacht"
zusammengeschlossen. Der Verbund ist der erste Disziplinen
übergreifende Versuch, die ökologischen, gesundheitlichen sowie
kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen, aber auch die Ursachen
für die zunehmende Beleuchtung der Nacht zu untersuchen. Diese
Problematik ist noch so wenig umfassend erschlossen, dass es dem
Verbund gleichzeitig auch darum geht, deren Breite ins Bewusstsein zu
rufen und die vielfältigen Implikationen aufzuzeigen. Eine erste
Bestandsaufnahme hat der Verbund in der Ausgabe 2/2009 der
Schriftenreihe "Zwischenruf" der Leibniz-Gemeinschaft vorgelegt.
Gerade die Disziplinen übergreifende Betrachtung des Themas fördert
erheblichen Forschungsbedarf zu Tage. Im Bereich der Medizin und
Lebenswissenschaften ist z.B. die große Bedeutung des Lichts als
biologischer Taktgeber für Lebewesen möglicherweise dafür
verantwortlich, dass ähnlich wie bei Schichtarbeit unter Kunstlicht der
Hormonhaushalt gestört wird, was gesundheitliche Beeinträchtigungen bis
hin zu einem höheren Brustkrebsrisiko nach sich ziehen kann. In der
Ökologie sind die Auswirkungen des millionenfachen Todes von Insekten
(etwa an Straßenlaternen) auf Ökosysteme nur gering erforscht, wie zum
Beispiel durch den Verlust von Insekten als Nahrung für andere
Organismen oder auch als Bestäuber von Pflanzen. Bei Lichteinwirkungen
auf Gewässer oder bei Vogelwanderungen lassen sich ebenfalls
Auswirkungen durch künstliches Licht beobachten, ohne dass die genauen
Umstände bisher näher untersucht sind.
Über den ökologischen Bereich hinaus geht die Einrichtung von
Lichtschutzzonen rund um astronomische Observatorien bzw.
"Himmelsparks". Dadurch soll die Möglichkeit der Himmelsbeobachtung
erhalten werden, die für die Entwicklung unserer Gesellschaft von
besonderer kultur-historischer Bedeutung war und ist.
Im technischen Bereich sehen die Wissenschaftler bei einer Reihe
möglicher Maßnahmen Handlungsbedarf, wie etwa bei der Entwicklung
moderner Beleuchtungssysteme, die bezogen auf Lichtspektrum sowie auf
Lichtdosierung und -fokussierung optimiert sein sollten, und
gleichzeitig etwa durch Dimmbarkeit und eine höhere Energieeffizienz
positive Effekte für Natur- und Klimaschutz bringen. Aus der
Bestandsaufnahme geht hervor, dass mögliche zukünftige Richtlinien -
z.B. Rahmenbedingungen und Regelwerke für Raum- und Bauplanungen
gemeinsam von Ökologen, Medizinern, Ingenieuren und
Sozialwissenschaftlern entwickelt werden sollten.
"Es geht uns zunächst in erster Linie darum, die negativen Auswirkungen künstlicher Beleuchtung zu reduzieren, ohne die positiven Aspekte substantiell zu beeinträchtigen", erläutert Tockner und fügt hinzu: "Gerade im Moment geht es nicht darum, den Menschen die Weihnachtsbeleuchtung nehmen zu wollen, die schließlich wegen der jahreszeitlich geringen Aktivität kaum negative ökologische Auswirkungen hat." Die Bestandsaufnahme soll erreichen, dass verschiedene gesellschaftliche Akteure - Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung - gemeinsam auf noch weiter zu erarbeitenden wissenschaftlichen Grundlagen Maßnahmen entwickeln, die dafür sorgen, dass das Licht genau dosiert und lokalisiert dorthin gelangt, wo wir es brauchen. "Wo es aber nicht benötigt wird, soll nach Möglichkeit auch kein Licht hinkommen, um nachtaktive Lebewesen nicht zu stören", so Tockner.
Quelle: Leibniz-Gemeinschaft